Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte setzbarkeit dieser Privilegien, also nach der Rechtspraxis gefragt werden.159 Da es sich bei Hofbefreiungen wie bei anderen Privilegien der Wiener Juden um kaiserliche Reservatrechte handelte, zeugt nicht nur die Privilegienerteilung, sondern auch die Wirksamkeit und Einklagbarkeit derselben vom Verhältnis zwischen dem Reichsoberhaupt und den Juden. Während für die Holjuden das Obersthofmarschallamt prinzipiell die erstinstanzliche Justizbehörde darstellte, war die gesamte jüdische Gemeinde Wiens, wie bereits erwähnt, nur in der Zeit von 1624 bis 1638 diesem Amt unterstellt. Appellationen, also Revisionsprozesse, der Wiener Juden ergingen zumindest bis 1638 vom Obersthofmarschall an den Reichshofrat, eine Zäsur, die für die Gruppe der Hofjuden wahrscheinlich nicht zu setzen ist.160 161 Die Gemeinschaft der Wiener Juden prozessierte im Unterschied zu anderen Judengemeinden, wie zum Beispiel Frankfurt oder Worms, nur in Einzelfallen am Reichshofrat.16' Wenn ein Prozess ange159 Für jüdische Prozesse am Reichskammergericht [in Hinkunft: RKG] vgl. etwa Battenberg, Friedrich: Das Reichskammergericht und die Juden des Heiligen Römischen Reiches. Geistliche Herrschaft und korporative Verfassung in Fürth im Widerspruch. Wetzlar 1992 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 13); Derselbe: Juden am Reichskammergericht in Wetzlar. Der Streit um die Privilegien der Judenschaft in Fürth. In: Die politische Funktion des Reichskammergerichts, hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln-Weimar-Wien 1993 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 24), S. 181-213. Zur Bewertung von Prozessen zwischen Juden und Christen und deren Auswirkungen auf die Integration der Juden vgl. z. B. Wa 1 z, Rainer: Der nahe Fremde. Die Beziehungen zwischen Juden und Christen in der Frühen Neuzeit. In: Fremdsein - Historische Erfahrungen, hrsg. von Paul Münch, Essen 1995 (Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre: Geisteswissenschaften 6/7), S. 54-63, bes. S. 58, Sp. 2. 160 Vgl. Reichshofratsordnung [in Hinkunft: RHRO] 1654 März 16, Tit. 11, § 10. Abgedruckt in: Sellert, Wolfgang (Hrsg ): Die Ordnung des Reichshofrates 1550-1766. 2. Halbband bis 1766. Köln-Wien 1990 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8/II), S. 128 f. /70] Dieweil auch vor alters herkommen, dass von unserm hofmarschalckhen und desselben erkandtnusses die supplicationes und revisiones an unsern reichshofrath gangen, soll es dabey nochmahln [...] verbleiben. Hierbei sind von der Appellation vom Obersthofmarschallamt an den RHR nur die haußgesessene handelsleuth unnd juden in der judenstatt zu wienn (S. 129) ausgenommen, eine etwas unklare Formulierung, die allerdings die Hofjuden nicht einschließen dürfte. Vgl. auch ebenda, S. 129 f., Anm. 508. In der RHRO von Kaiser Matthias findet sich keine Ausnehmung für die Wiener Juden, die „Judenstadt" gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vgl. RHRO 1617, Tit. 2, § 3. In: S e 11 ert, Wolfgang (Hrsg.): Die Ordnungen des Reichshofrates 1550-1766. 1. Halbband bis 1626. Köln-Wien 1980 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8/1), S. 172 f. Vgl. hingegen das Mainzer Konzept zu dieser RHRO, Tit. IX, §§ 3-5. ln: Ebenda, S. 122 f. Die RHRO von 1617 trat allerdings nie als Reichsgesetz in Kraft. Vgl. ebenda, S. 103. Siehe auch oben Anm. 15. 161 Einer der wenigen Fälle ist ein Prozess gegen die Wiener Judengemeinde. Reichsfiskal ct. die Wiener Juden. HHStA, RHR, Prot. Res. XVII, Bd. 67, fol. 174r“v, 7. Dezember 1623. Über die Prozesstätigkeit an anderen Gerichten können auf Grund mangelnder Forschung nur Vermutungen angestellt werden. 181