Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte konnten. Hofbefreite Juden127 hatten somit innerhalb der Juden des Landes und speziell der Stadt Wien eine Sonderstellung inne. Es ist von einer Privilegiengrundform für hofbefreite Juden auszugehen, in der die Aufnahme eines Juden mit seiner Familie in Schutz und Schirm des Herrschers, das Wohnrecht, Berufsmöglichkeiten sowie die Frage von Mautgebühren, Pfändern und Rechtsstellung geregelt wurden. Bei den Privilegien für bedeutendere Gemeindemitglieder konnte das Recht auf Einrichtung einer Synagoge mit dem dazugehörigen Personal, das Verbot an die Gemeinde, Bann und Fluch auf den Privilegieninhaber anzuwenden, eine allgemeine Ansiedlungserlaubnis für alle österreichischen Erbländer bis hin zur Verleihung eines Wappens, wie es der Prager Jude Jakob Bassevi erhielt, hinzukommen.12* Als normative Elemente von Hofbefreiungen sind das Recht auf Ansiedlung am Hof bzw. Hoflager des Kaisers oder Landesfürsten, die Erlaubnis für Handel und Pfandgeschäfte gemäß den Bedingungen, wie sie für Hofhandelsleute galten, die Inanspruchnahme von kaiserlichen Quartierzimmem, die Erlaubnis zum Verkauf nicht eingelöster Pfänder nach einem Jahr und die alleinige erstinstanzliche Jurisdiktion durch den Obersthofmarschall feststellbar.129 Die Übersiedlung in das Ghetto 1624/25 Die Wiener Juden lebten bis 1624 im Bereich des so genannten Kienmarkts (heute Judengasse - Desider-Friedmann-Platz - Seitenstettengasse) als Mieter in christlichen Häusern. Nachdem es Abraham Ries im Mai 1622 gelungen war, ein 127 Die Begriffe „hofbefreiter Jude“ und „Hofjude“ werden gemäß der Diktion in den Quellen wechselweise und völlig bedeutungsgleich verwendet. Eine genauere inhaltliche Definition der beiden Begriffe im Hinblick auf die Entwicklungen nach 1670 - Stichwort: Hoffaktoren - wie auch im Vergleich zu einfach „befreiten“ Juden, Hofhandelsleuten und Hofhandwerkem wird erst auf der Basis eines umfangreicher vorliegenden Quellenmaterials möglich sein. 128 Zum Nachweis der einzelnen Punkte siehe folgende Privilegien: Freibrief für Abraham Marbur- ger, 20. Jänner 1620, AVA, Salbuch Nr. 27, fol. 465r-466r; Freibrief für Simon Auerbach, 9. Mai 1620, ebenda, fol. 457'-458v; Freibrief für Abraham Brod, 9. Mai 1620, ebenda, fol. 458v- 460'; Freibrief für Emsken und Moises Schlesinger sowie Moises und Mayr Fränkel, 9. Mai 1620, ebenda, fol. 467v-468>; Freibrief für Leon Lucema, 9. Mai 1620, ebenda, fol. 469'-470v; Freibrief für Abraham Ries, 9. Mai 1620, ebenda, fol. 470'-472''; Freibrief für Abraham Mar- burger, 19. Juni 1620, ebenda, fol. 463r- 465'; Konsens zu und Ratifikation eines Mietvertrags für den sogenannten „Pempfingerhof“ für Abraham Ries, 12. Mai 1622, ebenda, fol. 309,-312>; Privileg für Abraham Ries, 29. August 1622, ebenda, fol. 489v-492r; Freibrief für Jakob Bassevi, 18. Jänner 1622, ebenda, fol. SöMSS*; Privilegienerweiterung für denselben, 29. August 1622, ebenda, fol. öV-óS'-, Freibrief für Gertraut Munk, 9. Mai 1620, HKA, N.Ö. Herrschaftsakten, Fasz. W 61/C 43, fol. 424'-427r. Die oben genannten bzw. folgenden Namen von Wiener Juden werden gemäß der in der Forschungsliteratur oder in den Quellen häufigsten Schreibweise angegeben. 129 Siehe zu den Einzelprivilegierungen ausführlicher Hödl: Geschichte (wie Anm. 3), S. 42-62. Zum Teil überholt sind die Ausführungen von Schwarz: Geschichte (wie Anm. 1), S. 53 f. 171