Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)
ENDERLE-BURCEL, Gertrude – MÄHNER, Peter – MENTZEL, Walter: Die Ministerratsprotokolle der Regierung Figl I. Ein Editionsprojekt der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien
Gertrude Enderle-Burcel, Peter Mahner und Walter Mentzel Schluß eingerichtet,18 und sollte parallel zum Ministerrat einzelnen Ministem die Möglichkeit bieten, wirtschaftspolitische Themen zu diskutieren, unter Beiziehung von Experten und höheren Beamten auszuverhandeln und sie in beschlußfähiger Form für den Ministerrat vorzubereiten. Darüber hinaus wurden bestimmte Materien, die einer grundsätzlichen Debatte unterzogen werden sollten, nur mehr in diesem Gremium verhandelt. Der Vorstoß zur Einrichtung des WMK dürfte von Seiten der ÖVP gekommen sein, beziehungsweise von Bundesminister Dr. Karl Gruber, der im WMK nicht nur als stellvertretender Vorsitzender fungierte und federführend in den Verhandlungen mitwirkte, sondern von dem auch zum WMK Vorschläge inhaltlicher und formaler Art ausgearbeitet wurden. Bemerkenswert ist dabei, daß diese Einrichtung als „Wiedererrichtung“ des bereits in der Ersten Republik etablierten Wirtschaftlichen Ministerkomitees (1931-1937) angesehen wurde, und damit eine bewußte historische Anknüpfung zu den 30er Jahren19 darstellt. Ab der Errichtung des WMK wurden wirtschafts-, aber auch sozialpolitische Themen fast nur mehr in diesem Gremium behandelt. Bei Gesetzesvorlagen, die im Ministerrat keine Einstimmigkeit fanden, bei Themen, bei denen zwischen den Parteien keine Übereinkunft gefunden werden konnte, vor allem aber bei komplexen finanzpolitischen Themen wurde die Diskussion im Ministerrat abgebrochen und deren Weiterbehandlung im WMK in Aussicht gestellt. Erst anhand der Durchsicht der Protokolle des WMK lassen sich konkrete Interessengegensätze, Kon- fliktlösungsstrategien, Entscheidungsprozesse, Einstellungen und Zielvorstellungen der Regierungsmitglieder und der Parteien bei komplexen Fragen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, des Außenhandels, der Preis-Lohnpolitik und der Budgetpolitik nachvollziehen. Vor allem handelspolitische, insbesondere außenhandelspolitische Fragen, sowie finanzpolitische Angelegenheiten, wie etwa die Währungsreform, wurden ab der Einsetzung des WMK weitgehend in diesem Gremium behandelt, während im Ministerrat der Provisorischen Regierung Renner Finanz- und Wirtschaftsfragen noch einen sehr breiten Diskussionsraum einnahmen. Die Protokolle des WMK sind eine wesentliche Quelle zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte und damit auch zur Entstehungsgeschichte der Sozialpartnerschaft. Darüber hinaus sind sie eine unerläßliche Ergänzung zu den Ministerratsprotokollen beziehungsweise zu der Regierungsarbeit der Regierung Figl. Vor allem die wirtschaftlichen Probleme, die unter der Regierung Figl zeitweise sogar dramatischere Formen annahmen als unter der Provisorischen Regierung Renner, lassen sich anhand der Protokolle noch deutli18 Vgl. Ministerratsprotokoll der Regierung Figl I vom 29. Jänner 1946, Protokoll Nr. 5/6. 19 Vgl. exemplarisch dazu die Ausführungen von Enderle-Burcel, Gertrude: Darstellung der Quelle. Grundsätzliches zur Edition. In: Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abteilung IX 29. Juli 1934 bis 11. März 1938, Bd. 3: Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg. Wien 1995, S. L.; weiters WMK, Protokoll Nr. 1 vom 25. Februar 1946. 278