Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)
ENDERLE-BURCEL, Gertrude – MÄHNER, Peter – MENTZEL, Walter: Die Ministerratsprotokolle der Regierung Figl I. Ein Editionsprojekt der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien
Gertrude Enderle-Burcel, Peter Mähner und Walter Mentzel chischen Saisonarbeiter und Taglöhner ausblieben. Dies ermöglichte einigen nach Österreich vertriebenen deutschen Südmährem in der Landwirtschaft unterzukommen und einer für viele als „zweite Vertreibung“ empfundenen Abschiebung aus Österreich zu entgehen. Generell ging die Regierung in der Frage der Behandlung der Sudetendeutschen nach rein pragmatischen Gesichtspunkten vor: Außer naher Verwandter österreichischer Staatsbürger hatten nur diejenigen Flüchtlinge, die wirtschaftlich gebraucht wurden, Chancen auf Aufenthaltsrecht in Österreich. Wenn ich berücksichtige, daß diese Leute mit einer förmlichen Inbrunst darauf pochen, daß sie ehemals Österreicher waren und daß sie jetzt sagen, ihre angestammte Heimat habe ihnen nicht nur nicht die Hand geboten, sondern sogar Schwierigkeiten bereitet, dann wird das unter Umständen später einmal für uns ein schweres moralisches Minus bedeuten.14 Moralische Bedenken, hier von Innenminister Helmer vorgebracht, wurden weitgehend ausgeräumt. Die außenpolitische Lage konsolidierte sich langsam. Ein Zeichen dafür war nicht zuletzt die diplomatische Anerkennung der Republik Österreich, die von zahlreichen Staaten im Laufe des Jahres 1946 erfolgte. In der Außenhandelspolitik versuchte die Regierung vorerst die Rekonstruktion eines mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes voranzutreiben. Auch in diesem Bereich wurde, wie beim Wirtschaftlichen Ministerkomitee, mit der Einrichtung sogenannter „gemischter Kommissionen“ auf eine Einrichtung der Ersten Republik zurückgegriffen. Außenpolitisch spielten die Südtirolfrage und erste Konzeptionen und Verhandlungen über einen möglichen Staatsvertrag eine zunehmend wichtige Rolle. Mit dem im Februar 1946 neu eingerichteten Bundesministerium für Vermögens- Sicherung und Wirtschaftsplanung war die wichtigste Behörde zur Erfassung und Kontrolle des wirtschaftlichen Erbes des Nationalsozialismus geschaffen worden. Die Aktenüberlieferung dieses Ministeriums bietet eine Fundgrube für die wichtigsten Entscheidungen der österreichische Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit, wie etwa Fragen der Wiedergutmachung, der Rückstellung privaten jüdischen Vermögens, der Rückgabe von Vermögen politischer Organisationen und der Verwertung sogenannten „herrenlosen“ Gutes, also jener Güter, die nach Kriegsende ohne Besitzer waren. Nicht zuletzt hatte dieses Ministerium die oberste Kontrolle über die „öffentlichen Verwalter“ und war damit Schnittstelle zu einem der heikelsten innen- wie außenpolitischen Themen der Regierung Figl. Ebenso finden sich in diesem Bestand wichtige Materialien zum wirtschaftlichen Wiederaufbau. Die Aktenbestände des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung bieten einen nahezu uneingeschränkten Zugang zu zahlreichen wirtschaftspolitischen Themen aber auch zu wesentlichen allgemeinen innenpolitischen Fragen. 14 Protokoll Nr. 10 vom 26. Februar 1946. 276