Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)
STÖGMANN, Arthur: Die Erschließung von Prozeßakten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Ein Projektzwischenbericht
Fürsten lieber an den Reichshofrat als an das nicht so schlagkräftige und wesentlich kompliziertere Reichskammergericht wandten. Vor allem diese praktischen Vorteile waren es, die zu einer entsprechend höheren Anzahl an beim Reichshofrat anhängig gemachten Prozessen führten.* 10 11 Nach einer ungefähren Schätzung wurden am Reichskammergericht zwischen 1701 und 1769 jährlich im Durchschnitt 209 neue Fälle anhängig gemacht, am Reichshofrat hingegen zwischen 2 000 und 3 000." Was die Zahl der Erledigungen betrifft, ist für das Jahr 1583 eine Bemerkung überliefert, wonach in 115 Sitzungen 1 291 Rechtssachen und Supplikationen entschieden bzw. beantwortet wurden. Genauere Informationen darüber gibt es erst aus der Zeit Josefs II., der sich entsprechende Berichte in tabellarischer Form vorlegen ließ. Demnach stieg die Zahl der jährlich erledigten Fälle im Zeitraum von 1767 bis 1779 von 2 088 auf 3 388 und betrug auch in den folgenden fünf Jahren im Jahresdurchschnitt 2 800 Fälle.12 Wichtig für den gewaltigen Anstieg des Geschäftsfalle beim Reichshofrat vor allem seit der Mitte des 17. Jahrhunderts war die RHR-Ordnung von 1654, welche trotz der Beschlüsse des Westfalischen Friedens, der die Prozeßgrundsätze des Reichskammergerichts auch für den Reichshofrat als bindend festgelegt hatte, die Unabhängigkeit des Reichshofrats u. a. im Hinblick auf dessen freierer Verfahrensweise ohne „unnötige Gerichtssolemnia“ betonte.13 Die Erschließung von Prozeßakten des Reichshofrats liehe Güter einzog, betrachteten die ritterschaftlichen Korporationen die Einreichung einer Mandatsklage beim RHR häufig als das wirksamste Mittel, um gegen diese Eingriffe anzukämpfen. In den Privilegien, die der Kaiser in den Jahren 1688 und 1700 der schwäbischen und fränkischen Ritterschaft erteilte, wurden diese regelrecht dazu ermutigt, ihre „berechtigten“ Forderungen im Wege eines Mandatsprozesses einzuklagen. Siehe dazu: Uhlhorn, Manfred: Der Mandatsprozeß sine clausula des Reichshofrats. Köln-Wien 1990 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 22), S. 19-26, bes. S. 22 f. 10 Siehe dazu den Hinweis auf zeitgenössische Urteile, die den RHR trotz aller Kritik als das wirksamere Gericht preisen, bei S e 11 e rt, Wolfgang: Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat. Aalen 1973 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 18), S. 47. 11 Hertz, Friedrich: Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich, ln: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 69 (1961), S. 331-358, hier S. 333 f. 12 Gschließer: Reichshofrat, S. 38 f. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Zahl der unerledigt gebliebenen Fälle insbesondere vor der Zeit Josefs II. stets sehr groß war, etwa weil von verstorbenen oder anderweitig ausgeschiedenen Reichshofräten hinterlassene Fälle keinem aktiven Reichshofrat mehr zugewiesen wurden. In den Archivbehelfen finden sich daher relativ häufig Bemerkungen wie „liegengeblieben“, „nach einem Vorbescheid liegengeblieben“, „causa irresoluta“ etc. Diese Einträge werden in der im Zuge des gegenständlichen Projektes angelegten Datenbank (siehe dazu weiter unten) im Feld Entscheidungen aufgenommen. 13 Scheurmann, Ingrid: Organisation der Gerichtsbarkeit im Alten Reich. In: Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806. Ausstellungskatalog, hrsg. von I. Scheurmann. Mainz 1994, S. 176-177, sowie S. 182 (Nr. 132). Siehe auch: Aretin, Karl Ot251