Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)

RUTKOWSKI, Ernst: Ein Sprengmeister der ersten Stunde erinnert sich … Meine Zeit beim Entminungsdienst August 1945 bis Dezember 1946

Ernst Rutkowski sten Munitionsarten befaßt gewesen war und daher viel wußte - ein Wissen, das uns anderen sehr zustatten kam. Es gesellte sich noch der Kamerad Vojacek hinzu, der von der Flak kam und dort mit den diversen Munitionsarten und auch mit den von der Deutschen Luftwaffe verwendeten Bomben zu tun gehabt hatte, worauf später noch zurückzukommen sein wird. So kam denn eines zum anderen. Was uns allen fast vollständig fehlte, waren Kenntnisse über die von den ehemaligen Feindmächten verwendete Munition und vor allem über die englischen und amerikanischen Flie­gerbomben. Erstere waren auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich nur sporadisch, letztere aber reichlich zum Einsatz gekommen. Besonders häufig war die Gewichtsklasse von 250 kg (500 lb). Viele Jahre später kam mir im Kriegsarchiv, wo ich von 1956 bis 1991 als Beam­ter tätig war, in der Bibliothek das Buch von Walter Merz, Feuerwerker: namenlose Helden der Bombennächte, ein Tatsachenbericht (Rastatt, 1970) in die Hand, das die Tätigkeit der Feuerwerker während des Krieges, aber auch ihr Wirken nach dem Kriege in Deutschland zum Gegenstand hat. Ich muß gestehen, daß mich bei der Lektüre desselben das Gefühl des „Reiters über den Bodensee“ überkam, denn von alledem, was dort an Spezialwissen enthalten war, hatten wir damals gar keine Ah­nung. So wußten wir z. B. nichts über die Details von Zeitzündern und über ähnliche Heimtückereien, wie etwa von Zündern, deren Mechanismus beim Herausschrauben ausgelöst wurde. Die Existenz von derlei war uns zwar vom Hörensagen bekannt. Wir mußten uns aber damit abfinden, daß solche Bomben, soweit sie mehr oder weniger kurz nach den Angriffen der amerikanischen Fliegergeschwader aufgefim- den wurden, von Spezialisten der Deutschen Wehrmacht entschärft worden waren. Das war der Bevölkerung bekannt, und mit den entschärften 250kg Bomben sollten wir alsbald ebenso zu tun bekommen wie mit den noch nicht entschärften, die haupt­sächlich bei Aufräumarbeiten und Aufgrabungen zutage kamen. Wie man weiß, ereignet sich letzteres ab und zu noch heute, mehr als 50 Jahre nachdem sie abge­worfen wurden. Während der Kämpfe um Wien hatten die russischen Truppen ziemlich plan­los, d. h ohne bestimmte Ziele im Auge zu haben, mit ihren 8 cm Granatwerfern in die Stadt geschossen. Diese Waffe war bei ihnen sehr beliebt und stark vertreten. Auch in den Infanteriebataillonen der Deutschen Wehrmacht gehörte sie zur Stan­dardausrüstung der schweren Kompanie. Der Unterschied bestand nur darin, daß die Bakelitzünder der russischen Werfergranaten infolge ihrer Primitivität sehr anfällig waren und es sehr häufig zu Blindgängern kam. Solche Blindgänger waren daher überall in Wien zu finden. Sie lagen auf den Dachböden der Häuser oder steckten in den Dachbalken, sie bevölkerten die Parks, wenn sie einen Baum getroffen hatten, durch die Äste abgelenkt worden und daher nicht explodiert waren, sie steckten im Asphalt der Straßen und Gehsteige, kurz, diese Dinger waren es, mit denen wir anfangs am meisten zu tun hatten. Die Entschärfung war im allgemeinen relativ einfach, man benötigte dazu meist nur ein Taschenmesser. In diesem Zusammenhang muß ein Wort zu unserer technischen Ausrüstung ge­sagt werden, falls diese Bezeichnung überhaupt berechtigt war. Es fehlte tatsächlich 230

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