Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) ten von Wien kam es am 31. Juli 1788 wegen der Preistreiberei zum Sturm auf einige Bäckerläden163. Und auch sämtliche Polizeiberichte der Jahre 1788 und 1789 sind sich über den schwerwiegenden Popularitätsmangel des Krieges und des Kaisers in der Bevölkerung einig164 *. Einzig und allein die Einnahme von Belgrad scheint kurzzeitig einen mentalen Umschwung herbeigeführt zu haben. Die Eugen-Tradition dürfte dafür ebenso mitverantwortlich gewesen sein, wie die offiziellen dreitägigen Siegesfeiern. Überproportional viele Täuflinge erhielten in den Oktobertagen den Namen Gideon163. Selbst der schwerkranke Joseph II., den man seit längerem nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen hatte, besuchte den Dankgottesdienst in St. Stephan166. Die Ankündigung der Regierung, angesichts der nunmehr guten militärischen Lage die Kriegssteuer 1790 nicht mehr einzuheben, wurde allseits besonders freudig aufgenommen167 und Karl Graf von Zinzendorf berichtet in seinem Tagebuch: „Das Volk hat die ganze Nacht in den Straßen herumgelärmt, in der Hoffnung, daß wir nun Frieden bekommen und die Preise sinken werden ...“168 Die von loyalen Zeitschriften übertrieben als „Siegestaumel“169 dargestellte Reaktion der Bevölkerung entsprang also wohl in erster Linie dem ökonomischem Kalkül der Leute. ’ Bald nach dem Verglühen der Belgrad-Euphorie fiel das Wiener Stimmungsbarometer wieder. Joseph II. hatte der Waffengang schlußendlich nicht nur die Gesundheit, sondern auch den letzten Rest an Beliebtheit bei der Masse der Untertanen gekostet170. Darauf daß der zensurmilde Kaiser die Macht und negative Wirkung der öffentlichen Meinung durchaus nicht unterschätzte, deutet sein Verbot einer Flugschrift mit dem Titel „Paar Worte über den gegenwärtigen Krieg“ hin, in welcher der Autor die Zukunftsvision eines durch die Kosten des Türkenkrieges völlig bankrotten Österreichs zeichnete: „Nachdem die Kirchenschäze vergeudet sind; so greift man nach dem Eigenthume der Unterthanen, um den ganzen Staat zu einer Bettlerherberge zu machen. “I71 163 Ernst, W. (Pseudonym für Emst Wangermann): Die Preissenkungsaktion Kaiser Josefs II. In: Österreichische Volksstimme vom 30. Dezember 1951. 164 Wangermann, Emst: From Joseph II to the Jacobin Trials. Government Policy und Public Opinion in the Habsburg Dominions in the Period of the French Revolution. Oxford 1969, S. 30. 163 Vaterlandschronik vom 30. Oktober 1789, S. 802. 166 Vgl. Schweighofer, Franz Ludwig (sic!): Von der berühmten Belagerung und Einnahme Belgrads durch den Helden Laudon 1789. Nebst einer genauen Beschreibung des Königreichs Servien ... Wien 1789, o. S.; Vaterlandschronik vom 27. Oktober 1789, S. 725. 167 Wöchentliche Beiträge zur Kriegs= und Staatsgeschichte. 3. Bd., 10. Stück. Wien 13. Oktober 1789, o. S. 168 Wien von Maria Theresia bis zur Franzosenzeit. Aus den Tagebüchern des Grafen Karl von Zinzendorf. Ausgewählt, aus dem Französischen übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Hans Wagner. Wien 1972 (Jahresgabe der Wiener Bibliophilen Gesellschaft zu ihrem 60-jährigen Bestand), S. 59. 169 So schreibt die Vaterlandschronik vom 13. Oktober 1789, S. 693: „Wir Wiener taumeln schon etliche Tage im Freudenräusche hemm, und können kaum was anders lallen, als Sieg und Koburg.“ 170 Zur außenpolitisch schwierigen Lage beim Tod des Kaisers, insbesondere auch zu den Befürchtungen einer Kriegserklärung durch Preußen und der Möglichkeit eines Zweifrontenkrieges vgl. Roider: Kaunitz; Engel-Jänosi: JosephsII. Tod, S. 324f. 171 Ein Original konnte nicht aufgefünden werden, zitiert nach Vaterlandschronik vom 16. Dezember 1788, S. 842. 85