Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

Gerhard Ammerer andere (vor allem Lied-) Autoren (siehe unten) suchten dieses mit vordergründigen Slogans zu reaktivieren, doch waren diese Bemühungen, wie es scheint, nicht son­derlich erfolgreich. Der Barbarenmythos und die Zeitungsmärchen über die Türken, die „ganze Säcke voll christlicher Ohren nach Constantinopel geschickt haben“64, wurden denn auch in Broschüren wie derjenigen „Ueber den National=Charakter, die Sitten und Militair=Verfassung der Türken, nebst Bemerkungen über den Tür­kenkrieg“65 kritisch gesichtet und zum Teil zurechtgerückt. Selbst Schweighofer, der bereits genannte Verfechter des „gerechten Krieges“, weist darauf hin, daß der offi­ziell propagierten Kriegsentschlossenheit keineswegs die Animositäten der Unterta­nen entsprächen, da die Türken seit 50 Jahren als Freunde angesehen würden66. Einhergehend mit diesem Mentalitätswandel in den vorangegangenen Jahrzehnten entwickelte sich vor allem in den höheren Bildungsschichten ein steigendes wissen­schaftliches Interesse am Osmanischen Reich, das von ehrlichen ethnographischen Interessen - beispielsweise war es 1754 in Wien zur Gründung der „K. K. Akademie der morgenländischen Sprachen“ gekommen -67 über unterhaltsame und informie­rende Reisebeschreibungen68 bis zur Schwärmerei - so ließ sich Maria Theresia mit ihren Töchtern in türkischer Tracht zeichnen - reichte. Die „Türkenmode“ war auch in der Kunst fest etabliert69. Der Topos vom unnachgiebigen, mordenden Tyrannen hatte sich in den Topos des sorgenden und aufgeklärten Ideen verbundenen Sultans gewandelt, 70 dem aus der alten Vorstellungswelt übernommenen grausamen, wol­lüstigen und dem Trunk ergebenen Orientalen (Osmin) wurde nun der großherzige und verzeihende Herrscher (Selim Bassa) gegenübergestellt71. 64 Ueber den National=Charakter, die Sitten und Militair=Verfassung der Türken, nebst Bemerkungen über den Türkenkrieg, o. O. 1788, S. 6 f.; ähnlich (Belohnung der türkischen Soldaten für Christenköpfe): Be­sondere Bemerkungen bey einem Kriege mit den Türken. In: Huber, F(ranz) X(aver). Der oberdeutsche Freund der Wahrheit und Sittlichkeit. Eine periodische Schrift. Salzburg 1788, 1. Bd., S. 355. 65 Ebenda. 66 Schweighofer: Betrachtungen, o. S. 67 Grothaus, Maximilian: Zum Türkenbilde in der Adels- und Volkskultur der Habsburgermonarchie von 1650 bis 1800. In: Heiß, Gemot-Klingenstein, Grete (Hrsg.): Das Osmanische Reich und Europa 1683-1789: Konflikt, Entspannung und Austausch. Wien 1984 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit. Bd. 10), S. 87; P e z z 1: Skizze, S. 710-714. 68 Vgl. etwa: Das Osmanische Reich im Spiegel europäischer Druckwerke. Kost­barkeiten aus vier Jahrhunderten. Begleitheft zur Ausstellung des Instituts für Orientalische und Ostasiati­sche Philologien, Turkologie, der Johann Wolfgang von Goethe-Universität und der Stadt- und Universi­tätsbibliothek Frankfurt am Main, 12. April bis 18. Mai 1985. Frankfürt/Main 1985, S. 35 ff. 69 Näheres dazu in mehreren einschlägigen Artikeln des Sammelbandes: Die Türken und was von ihnen blieb. Wien 1978; K o p p 1 i n, Monika: Turcica und Turquerien. Zur Entwicklung des Türkenbildes und Rezeption osmanischer Motive vom 15. bis 18. Jahrhundert. In: Exotische Welten - Europäische Phanta­sien. Katalog zur Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen und des Württembergischen Kunst­vereins. Stuttgart 1987, S. 150-163; Ammerer, Gerhard: „Türkenkopfstechen“, Deckenfresko von Christoph Lederwasch und Johann Michael Rottmayr. In: Salzburg Edition (Lose-Blatt-Sammlung), hrsg. vom Archiv Verlag. Wien 1994, o. S. 70 Vgl. dazu den Überblick von Grothaus, Maximilian: Vorbildlicher Monarch, Tyrann oder Despot? Europäische Vorstellungen vom Osmanischen Reich zwischen Renaissance und Aufklärung. In: Frühneu­zeit-Info. Jg. 6, H. 2., 1995, S. 181-203. 71 Grothaus, Maximilian: Toleranz und Schwärmerei. Mozarts Orientalismus in mentalitätsgeschichtli­cher Sicht. In: Zaubertöne. Mozart in Wien 1781-1791. Katalog zur Ausstellung des Historischen Muse­70

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