Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Gerhard Ammerer Die Publizistik als „Macher“ und Spiegelbild der öffentlichen Meinung Bekanntlich legte Joseph II. mit der Zensurerleichterung die Basis für die (Wiener) „Meinungspresse“. Zeitungen und vor allem Broschüren erlebten ab 1781 einen starken Aufwind55. Reisende hoben immer wieder den Lesehunger der Wiener Bevölkerung hervor, der bis zu den „untersten Schichten“ reichte. Nicht nur in den noblen Salons und Kaffeehäusern, sondern auch in den einfachen Bier- und Weinstuben lagen die Schriften auf, in Buch- und Zeitungsläden, aber auch von Zeitungsjungen wurden sie um wenige Kreuzer verkauft56. Den gewaltigen Einfluß, den die Publizistik auf die öffentliche Meinung ausübte, streicht Pezzl, seit 1784 Privatsekretär des Staatskanzlers Kaunitz, besonders hervor („Die meisten haben sich irgend einen Zeitungsschreiber zum Patron erkiesen, dessen Quäkelsprüchen sie blindlings folgen“). Aktualität war vorderstes Gebot, die Sprache der Opposition vielfach Grundtenor der Broschüren. Die Themen wiesen eine bunte Fülle auf, selbst bei so speziellen Anlässen wie dem Türkenkrieg. Sie konnten auf die Beeinflussung der Meinung vieler, seltener auch nur einer kleinen Minderheit (von Zuständigen) ausgerichtet sein. Letzteres scheint etwa bei den „Gedanken über das hölzerne Militarkrankenspital, welches hier zur Probe aufgestellt, und für die Kaiserl. Königl. Armee an der Türkischen Gränze bestimmt ist“57 der Fall gewesen zu sein. Sie wiesen offiziöse oder, wie in diesem Fall, loyale Grundzüge auf, waren aber auch kritisch bis scharf ablehnend wie etwa die Schlendrian-Broschüren von Franz Xaver Huber58. Da vor allem im ersten Türkenkriegsjahr eine beinahe unüberschaubare Anzahl an Abhandlungen über den Krieg erschien, vermag ich in den folgenden Ausführungen die unterschiedlichen Typen, die von der „Wiener Zeitung“ (dem Sprachrohr der Regierung) über eine durchaus um Objektivität bemühte Berichterstattung bis zur bissigen Satire reichen, nur in einer fragmenthaften Auswahl vorzustellen. Es scheint, daß die publizistische Auseinandersetzung mit dem Türkenkrieg nebenher auch der 1787 etwas abzubröckeln drohenden Broschürenflut einen neuen Impuls Lunzer-Lindhausen, Marianne: Aufschwung des Zeitungswesens. JosephII. und die Presse. In: Jahresbericht des öffentlichen Stiftgymnasiums der Benediktiner Melk/Donau. Melk 1980/81, S. 7-16. 56 Lunzer, Marianne: Josephinisches und antijosephinisches Schrifttum. In: Zöllner, Erich (Hrsg.): Öffentliche Meinung in der Geschichte Österreichs. Wien 1979 (Schriften des Institutes für Österreichkunde 34), S. 54. 57 (anonym:) Gedanken über das hölzerne Militarkrankenspital, welches hier zur Probe aufgestellt, und filr die Kaiserl.Königl. Armee an der Türkischen Gränze bestimmt ist. Wien 1787,- der Autor kritisiert nicht nur die Ausmaße und Ausstattung, sondern auch und vor allem die Transportschwierigkeiten, die bei diesen „fliegenden Spitälern“ aus Holz vorauszusehen seien. Joseph II. ließ im Oktober 1787 24 derartige Gebäude mit einer Aufnahmekapazität von 600 Personen von Wiener Militärzimmerleuten hersteilen und diese donauabwärts transportieren; M o e r c h e 1, Joachim: Das österreichische Militärsanitätswesen im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Frankfiirt/Main-Bem-New York-Nancy 1984 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III.: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 233) S. 348. 58 Vgl. (anonym = Huber, Franz Xaver:) Sonnenklarer Kommentar der sonnenklaren Buchstaben der neuen Gesetze, von Herrn Schlendrian, Oberster Richter zu Tropos. Wien 1788; derselbe: Herrn Schlendrians, Oberster Richter zu Tropos, Erklärung der Tropsanischen Kriegsvorfälle. Wien 1788. 68