Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

HÖDL, Sabine: Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden. Zur Geschichte der Juden in Niederösterreich von 1420 bis 1555

EINE SUCHE NACH JÜDISCHEN ZEUGNISSEN IN EINER ZEIT OHNE JUDEN Zur Geschichte der Juden in Niederösterreich von 1420 bis 1555 von Sabine Hödl I. Einführung Die Darstellung der mittelalterlichen Geschichte der Juden in Österreich endet zumeist mit der Vertreibung aus dem jeweiligen Teilgebiet, somit im Laufe des 15. Jahrhunderts. Das gesamte 16. Jahrhundert ist bis auf ein paar Ausnahmen in der Literatur kaum bearbeitet. Das Quellenstudium in Bezug auf das Judentum hinkt anderen historischen Zeitabschnitten weit hinterher. Auf diesen Tatsachen aufbau­end entwickelte sich die Frage nach der Geschichte der Juden in Österreich, speziell im heutigen niederösterreichischen und Wiener Raum, im 16. Jahrhundert: War es eine Zeit ohne Juden - ein Bild, das die bestehende Literatur vermittelt - oder war die Existenz von Juden zu dieser Zeit in diesem Raum versteckter, weniger auffällig? Da der Begriff Niederösterreich gerade in der frühen Neuzeit wechselnde geogra­phische Bereiche bezeichnet, ist es unerläßlich, eine exakte begriffliche Abgrenzung zu finden. In der vorliegenden Arbeit ist mit Niederösterreich das Land Österreich unter der Enns gemeint, zu dem 1491 die Herrschaften Forchtenstein, Eisenstadt, Kobersdorf, Hornstein, Bernstein und Güns - heute im burgenländischen bzw. un­garischen Gebiet liegend-als Teil des landesfürstlichen Kammerguts, das vom Vizedom oder der Niederösterreichischen Kammer verwaltet wurde, hinzukamen. Der Begriff Österreich meint das Herzogtum Österreich, welches ab Maximilian I. als Erzherzogtum bezeichnet wurde und Österreich ob und unter der Enns umschloß, somit also das Gebiet des heutigen Ober- und Niederösterreich, jedoch ohne das Innviertel. Die vorliegenden Ergebnisse, die für die Zeit von 1420 bis 1555 erzielt wurden, sind als Teil eines umfangreichen Forschungsvorhabens zu sehen, welches die Ge­schichte des ostösterreichischen Judentums erfassen soll, d. h. die Zeit von den spätmittelalterlichen Judenverfolgungen bis in das 18. Jahrhundert hinein. Hier wird sich in weiterer Folge die Frage nach dem Entstehen von jüdischen Landgemeinden ergeben, wie sie Leopold Moses für den niederösterreichischen Raum im 17. Jahr­hundert dargestellt hat'. Derzeit arbeitet die Verfasserin an einem Buch, das sich mit der Geschichte der Juden in Wien von 1420 bis 1670 befassen wird. Diese im Ent­1 Moses, Leopold: Geschichte der Juden in Niederösterreich. Wien 1935. 271

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