Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)

.Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieberthun ... “ bereit, eine zeitweilige Beschränkung der Verfassung in Kauf zu nehmen. Begründet würde ein solcher Schritt damit, daß die Nationalitäten die Verfassung gegen das das Reich zusammenhaltende deutsche Kulturelement benutzten49. Die vergangene Kampagne Bismarcks aufgreifend teilte Schweinitz mit, daß Beust in einer Flugschrift verbreitet habe, er werde zurücktreten, „wenn seine Person ein Hindernis guter Beziehungen zu Deutschland wäre“50. Über diese Mitteilungen hin­aus bemühte sich Wien verstärkt um die Verbesserung der Beziehungen. So ließ Biegeleben bei Schweinitz anfragen, ob preußischerseits die beiden Dank-Depeschen Bismarcks über den Besuch Erzherzog Carl Ludwigs in Berlin für das Rotbuch51 zur Verfügung gestellt werden könnten52. Schweinitz sah hierin eine weitere Möglichkeit des Entgegenkommens und erwirkte die Genehmigung Bismarcks zur Veröffentli­chung beider Depeschen. In Anbetracht der heftigen jährlichen Auseinandersetzungen um die Rotbücher muß die Aushändigung der Depeschen zweifellos als ein Akt des Entgegenkommens angesehen werden, der aber durch die Beustsche Anerkennung der Veränderungen in Deutschland sowie durch die Tatsache relativiert wurde, daß Bismarck selbst dem Reichstag Aktenstücke zum Vorfeld des französisch-preußischen Konflikts sowie über die Waffenstillstandsverhandlungen53 vorlegte. Diese Doppelgleisigkeit erkann­te auch Schweinitz, so daß er sich entschloß, in Anbetracht der starken Spekulatio­nen um die Reichskanzlerschaft Andrässys54 zu testen, inwieweit sich Bismarcks Entgegenkommen auch auf die Person Beusts bezog. Somit empfahl Schweinitz in Anlehnung an eine alte Forderung Bismarcks, daß vor der Eröffnung der Delegationen die deutsche Presse „mild aber entschieden“ Beust als Hindernis für eine deutsch-österreichische Annäherung bezeichnen sollte55. Doch noch vor Erhalt dieser Anregung lies Bismarck in Berlin die Einstellung jegli­cher Presseangriffe gegen Beust anweisen56 und bezeichnete auch den Vorschlag Schweinitzs als derzeit nicht günstig57. Die sich bessernden Verhältnisse des preußischen Heeres in Frankreich, die durch Schweinitz berichtete innere Lage Cisleithaniens sowie die bis dahin gescheiterte 49 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8459 (Schweinitz an Bismarck, 3. November 1870). 50 Ebenda (Schweinitz an Bismarck, 3. November 1870). 51 Im Februar 1868 verwirklichte Beust eine langjährige liberale Forderung und publizierte nach dem engli­schen Vorbild der ,31aubücher“ unter dem Titel „Correspondenzen des kaiserlich-königlichen Ministeri­ums des Äusseren“ die erste Aktensammlung über die auswärtige Politik der Monarchie. Vgl. hiezu Kossina, Margarete: Die Rotbücher der österreichisch-ungarischen Monarchie. Diss. Wien 1946, S. 10-14. 52 Pol. 'Arch. A. A. Bonn, R 8422 (Schweinitz an Bismarck, 7. November 1870). 53 Sass, Johann: Die Deutschen Weißbücher zur auswärtigen Politik 1870-1914. Geschichte und Biblio­graphie. Berlin-Leipzig 1928, S. 110 und 117f. 54 Das Gerücht über die Reichskanzlerschaft Andrässys war anscheinend so stark, daß sich der Konsul in Pest, Wäcker-Gotter, verleitet sah, dieses als Faktum nach Berlin zu melden. (Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8459, Wäcker-Gotter an Auswärtiges Amt, Telegramm, 16. November 1870). 55 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8422 (Schweinitz an Bismarck, 15. November 1870). 56 Ebenda (Bismarck an Auswärtiges Amt, 16. November 1870). 57 Ebenda (Bismarck an Auswärtiges Amt, Telegramm, 21. November 1870). 259

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