Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 44. (1996)

ANGELOW, Jürgen: Der Zweibund zwischen politischer Auf- und militärischer Abwertung (1909-1914). Zum Konflikt von Ziel, Mittel und Struktur in Militärbündnissen

Der Zweibund zwischen politischer Aufwertung und militärischer Abwertung Zufriedenheit registriert78. Im Mai 1895 schwenkte Schließen allerdings wieder auf die ursprüngliche, nun aber verwässerte, polnische Zangenoperation zurück. Diesen Sachverhalt übermittelte der österreichisch-ungarische Militärbevoll­mächtigte in Berlin, Generalmajor Steininger, seinem Generalstabschef nach Wien. Schließen - so Steininger - habe neue Operationspläne entwickelt, in denen er vorschlage, „daß eine österreichisch-ungarische Armee die rassische Südwestarmee in Podolien beschäftigen, eine zweite vom unteren San zwischen Weichsel und Bug Vorgehen, und eine dritte in Preußisch Schlesien zwischen Kempen und Kattowitz aufmarschieren und von da gegen Warschau und Iwan- gorod vorrücken solle; dafür würde die deutsche Ostarmee aus Preußen rechts von der Weichsel gegen den unteren Narew vorrücken.“ Schließen plante, wie Beck gereizt feststellte, den Österreichern die Deckung von Berlin zu überlas­sen 79 80. Die „polnische Zange“ sollte nun angesichts des sich ständig relativ verrin­gernden eigenen Kräßepotentials und der Beschleunigung des rassischen Auf­marsches mit ihren Endpunkten nicht aus so großer Entfernung angesetzt wer­den, wie dies in der Planung Moltkes und Waldersees in den 80er Jahren vorge­sehen warso. Eine Entscheidung würde demnach nicht östlich, sondern westlich der Weichsel gesucht werden. Schließen begründete diese Änderung am 20. Mai 1895 mit bereits bekannten Argumenten81, die Beck nicht überzeugen konnten. Die wahren Motive behielt Schließen für sich. Sie lagen in seinem Mißtrauen in die Kampfkraft und Zuverlässigkeit der k. u. k. Armee sowie die Durchlässigkeit der österreichisch-ungarischen Bahnverbindungen. Die angenommene militäri­sche Schwäche des Bündnispartners mußte sich aber gerade bei der 1891/92 entwickelten Planung ungünstig auf den deutschen Aufmarsch auswirken, da sich dieser sehr eng neben dem der Österreicher-Ungarn vollzogen hätte. In seiner Antwort vom 30. Mai lehnte der österreichisch-ungarische General­stabschef den Änderungsvorschlag Schlieffens schlichtweg ab, indem er auf die Gefahren der geplanten Zersplitterung der Kräfie beider Bündnispartner im Osten hinwies und auf dem „Festhalten an unseren bisherigen prinzipiellen Vereinbarungen“ bestand82. Da die polnische Durchbrachsoperation nicht mehr diskutiert werden konnte, drängte Beck in der Folge darauf, die Entscheidung ­8 Hobelt: Schlieffen, Beck, Potiorek und das Ende der gemeinsamen Aufmarschplanung, S. 16. 1} BA-MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 37 (Regenauer: Materialsammlung zur Darstellung der operativen Verhandlungen; Tagebuch Generalmajors Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowsky. Ein­tragung vom 20. Mai 1895, S. 2507). 80 S e y f e r t, Gerhard: Die militärischen Beziehungen und Vereinbarungen zwischen dem deutschen und dem österreichischen Generalstab vor und bei Beginn des Weltkrieges. Leipzig 1934, S. 41. 81 Alfred Graf von Schlieffen an Friedrich Freiherr von Beck-Rzikowsky. Berlin, 20. Mai 1895 (zugestellt durch Feldmarschalleutnant von Guttenberg) siehe Otto, Helmut: Schlieffen und der Generalstab. Der preußisch-deutsche Generalstab unter der Leitung des Generals von Schlieffen 1891-1905. Berlin 1966 (Militärhistorische Studien. N.F. 8), S. 241-244. 82 Friedrich Freiherr von Beck-Rzikowsky an Alfred Graf von Schlieffen (über von Guttenberg). Wien, 30. Mai 1895 siehe BA-MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 102-108 (Regenauer: Material­sammlung zur Darstellung der operativen Verhandlungen; Tagebuch Beck, S. 2507). 51

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