Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 44. (1996)
STRIMITZER, Birgit: Der k. k. Staatsrat Friedrich Freiherr Binder von Krieglstein, Freund und Sekretarius des Staatskanzlers Kaunitz. Ein Beitrag zur Klientelpolitik der maria-theresianischen Epoche
Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 44/1996 - Rezensionen aber Verhalten und Äußerungen der türkischen Führung, ließen allerdings rasch die beinahe einhellige Meinung reifen, daß es den Chauvinisten im türkischen Lager, an der Spitze Innenminister Talaat, in erster Linie darum ging, die armenische Nation als solche zu zerschlagen und die Armenische Frage so noch vor Beginn zukünftiger Friedensverhandlungen endgültig aus der Welt zu schaffen. Botschafter Pallavicini nahm bereits die ersten für sicher erachteten Informationen über stattgefundene Massaker zum Anlaß um, erstmals am 2. 5. 1915, bei Talaat zugunsten unschuldig Verfolgter zu intervenieren. Wie Bihl schon früher festgestellt hat, beschränkte er sich auch in der Folgezeit, anders als seine reichsdeutschen Kollegen, auf mündliche Schritte. Seine stets betont „freundschaftlich“ oder gar „freundschaftlichste“ vorgebrachten Empfehlungen oder auch Warnungen betrafen in erster Linie das Los der Frauen und Kinder sowie der wegen ihrer gänzlich unpolitischen Haltung bekannten armenischen Katholiken und ihrer geistlichen Führer. Die ihm von seinen türkischen Gesprächspartnern regelmäßig gegeben beruhigenden Versicherungen und Versprechungen erwiesen sich im nachhinein fast durchweg als unaufrichtig. Die Dokumentation enthält keinen Hinweis darauf, daß Pallavicini von seiner Regierung in Zusammenhang mit den Armeniergreueln mehr als mündliche Instruktionen - deren Inhalt zudem undeutlich bleibt - erhalten hat. Während die konsularischen Schreiben erkennen lassen, daß einzelne Konsuln alles in ihren Kräften Stehende versuchten, um den bedrängten Armeniern zu helfen, gewinnt man aus den Korrespondenzen der Regierung und ihrer Vertretung in Konstantinopel eher den Eindruck, daß Wien die Armenier, auch die Angehörigen des in Wien ansässigen armenisch-katholischen Mechitharisten-Ordens, weitgehend allein ließ, Österreich-Ungarn scheint es auch keine unablässig auf Hilfe für die Armenier drängende philanthropische Bewegung gegeben zu haben, wie sie im Deutschen Reich Pfarrer Johannes Lepsius und seine Mitstreiter bildeten. Die Dokumentation belegt, wie Ohandjanian zu Recht hervorhebt, daß die österreich-ungarischen Zeitzeugen in der Türkei den türkischen Absichten gegenüber den Armeniern genozidähnlichen Charakter beigemessen haben. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, Differenzen in der Einstellung der türkischen Politiker, der Beamten und der muslimischen Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen oder die Grausamkeit armenischer Racheakte zu registrieren. Die politischen Akteure beider Seiten werden fast durchwegs gleich distanziert beschrieben. All dies macht den Band zu einem der wertvollsten neueren Beiträge zur Geschichte der armenisch-türkischen Beziehungen auf ihrem tragischen Höhepunkt. Heidrun Wurm, Hamburg 459