Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag

ARTL, Gerhard: Oberfeldrichter Everts und die Serie von Selbstverstümmelungen im Sommer 1944 in Wien

Gerhard Arti Oberfeldrichter EVERTS griff deshalb schon Anfang August auf die Männer der Heeresfahndung der Heeresstreife Groß-Wien zurück. Die Angehörigen dieser Abteilung, welche ihren Dienst größtenteils in Zivil versahen, waren bisher hauptsächlich zur Suche nach Deserteuren und zur Ermittlung von Verbrechen, welche von Sodaten nach dem all­gemeinen bzw. dem Militärstrafgesetz begangen worden waren, einge­setzt gewesen. Mit der Durchführung der Erhebungen wurde Feldwebel Kurt FEIGEL betraut, zu dessen Unterstützung EVERTS seinen eigenen Schreiber, den Rechtsanwaltsanwärter Unteroffizier Dr. Leopold DITT­RICH, abstellte.22) FEIGEL und DITTRICH erhielten von EVERTS den ausdrücklichen Befehl, Geständnisse nötigenfalls auch mit Gewalt durch „verschärfte Verhöre“ zu erzwingen. Außerdem ordnete der offenbar pathologisch ehrgeizige EVERTS die Einrichtung eines eigenen Ver­hörraumes am Sitz der Heeresstreife in der Roßauer Kaserne an, des sogenannten „Lachkabinetts“.23) Im Zuge der von FEIGEL, DITTRICH und einigen anderen Unteroffizieren durchgeführten Verhöre wurden die Beschuldigten in diesem Zimmer zum Teil geohrfeigt, mit Faust­schlägen und Fußtritten traktiert und mit einem Lineal mißhandelt. Be­sonders hartnäckige Einzelfälle wurden „mit rückwärts geschlossenen Händen mit einer Kette aufgezogen.“24) Der „Erfolg“ blieb nicht aus. Richter EVERTS konnte am 10. Oktober 1944 beim Verfassen der Ankla­geverfügung gegen die ersten 43 Beschuldigten auf 40 Geständnisse ver­weisen.25) In der am 8. Dezember 1944 durchgeführten Verhandlung gegen fünf­zehn weitere Angeklagte kamen diese Methoden schließlich zur Spra­che. Der wegen Fahnenflucht und Selbstverstümmelung angeklagte Ru­dolf SOBOTKA gestand zwar, daß er beabsichtigt hätte, sich bis Kriegs­ende zu verstecken. Das am 12. Oktober abgelegte und drei Tage später bei einer neuerlichen Einvernahme wiederholte Geständnis auf Selbstverstümmelung in zwei Fällen widerrief er jedoch. Auf Befragung durch seinen Verteidiger Dr. Hans GÜRTLER erklärte SOBOTKA, nur deshalb gestanden zu haben, weil er geschlagen worden sei.26) Das Ge­richt hielt es in diesem Zusammenhang für angebracht, festzustellen, „daß Unterdrucksetzen eines Untersuchungsgefangenen allerdings nicht das beste Mittel ist, um die Wahrheit zu erforschen. Doch muß ge­22) Ebd., Bundeskanzleramt 2. Republik, Ktn. 185, ZI. 215.194, 12 09 1956. 25) Kriegsarchiv (KA), B/1021 Nachlaß Karl Edelmayer. Aussage Dr. Hans Gürtler im Prozeß gegen die Heeresstreife Groß-Wien vor dem Volksgerichtshof, 25 02 1948. 24) AdR, Bundeskanzleramt 2. Republik, Ktn. 185, ZI. 215.194. 25) Ebd., DWM, Ger.A., Ktn. 445, fol. 546ff. Vier davon waren Teilgeständnisse. 26) Ebd., Ktn. 135/5, fol. 195. 198

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