Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 42. (1992)

AGSTNER, Rudolf: Von der österreichisch-ungarischen Botschaft zum österreichischen Generalkonsulat Berlin. Zur Geschichte der k. u. k. bzw. österreichischen Vertretungsbehörden in der deutschen Hauptstadt 1871–1991

„Mein nächster Posten war Berlin, wo ich unserer Gesandtschaft als Legationssekretär 1. Klasse zugeteilt wurde ... Österreichs Gesandter in Berlin war damals der ehemalige Sektionschef im Handelsministerium, Dr.Riedl, welcher politisch der Großdeutschen Partei nahestand, also ein Mann, der für den Anschluß Österreichs an Deutschland war. ... Solange sich Riedl auf die ihm als Gesandten zufallenden Aufgaben beschränkte, war seine Arbeit, die sich in erster Linie auf Probleme wirtschaftlicher Natur bezog, sehr erfolgreich; sie wurde allgemein anerkannt... Später wurde seine zuerst so ausgezeich­nete Stellung schwankend und die Zahl seiner Feinde in Österreich und Deutschland so groß, daß er schließlich sehr unrühmlich verabschiedet wurde. Dieser Wandel in seiner Stellung und sein Ende als Gesandter hatten ihre Ursache nicht zuletzt darin, daß Riedl neben seinen Vorzügen auch eine Reihe von Fehlem hatte, die ihm die vorerst so großen Sympathien mit der Zeit entzogen. Er war nämlich ein jähzorniger Mensch und konnte, wenn ihm eine Sache nicht nach Lust und Laune ging, sehr böse und persönlich werden, wobei er sich dann nicht immer die für einen Diplomaten selbstverständliche Reserve auferlegte ... Seine Launenhaftigkeit stellte das Personal der Gesandtschaft manchmal auf eine harte Probe. Aber der Hauptgrund für sein schließliches Versagen in Berlin lag darin, daß es ihm nicht gelang, in die Stellung eines Gesandten mit der eigenen Mentali­tät eines Diplomaten hereinzuwachsen und daß er durch seinen einseitigen und immer enger werdenden Verkehr mit den ihm ideologisch nahestehenden deutschen Politikern in den Verdacht geraten mußte ... seine Finger in der deutschen innerpolitischen Ome­lette“ zu haben. Die deutsche Partei, mit der Riedl als Großdeutscher politisch die mei­sten Berührungspunkte hatte, war die deutsche Volkspartei, eine ebenso wie die Groß­deutschen in Österreich gemäßigt national-liberale Gruppe, welche sich besonders auf Industrie- und Wirtschaftskreise stützte. Ihr führender Kopf war der Reichsaußenmini­ster Dr.Gustav Stresemann (durch kurze Zeit auch Reichskanzler), mit dem Riedl bald sehr intime persönliche Beziehungen herstellen konnte. Auf der anderen Seite war es ihm jedoch versagt oder nicht möglich, gleich gute Beziehungen mit den anderen füh­renden Politikern der anderen großen deutschen Parteien anzuknüpfen; im Gegenteil, sein persönliches Verhältnis zu den Politikern des Zentrums und der Sozialdemokrati­schen Partei, welch letztere natürlich über die Abberufung seines sozialistischen Vor­gängers verärgert war, wurde mit der Zeit anstatt besser immer schlechter... Mit schee­len Augen beobachtete man ... seine Intimität mit Stresemann183) und fühlte sich durch das politische Spiel, das er nach Ansicht der Christlichsozialen in Berlin spielte, düpiert. Von der österreichisch-ungarischen Botschaft zum Österreichischen Generalkonsulat Berlin 1938. Wiedereintritt in den auswärtigen Dienst am 30.4. 1943. Nach Tätigkeit in der politischen Abteilung von 22.11. 1946 bis 31.12. 1931 Gesandter in Ankara. Nach Ver­wendung in der Zentrale Gesandter in Kairo 7.7.1953 bis 3.2.1955, Rio de Janeiro (18. 3. 1953-10. 3. 1956) und zuletzt Madrid (24. 3. 1956-31. 12. 1957). In den Ruhestand getre­ten am 31.12. 1957. 183) Dessen Sohn Wolfgang Stresemann erinnert sich in seinen Memoiren Wie konnte es geschehen?, Berlin 1987, S. 53: „Hitler kam bekanntlich aus Österreich und sollte nach teilweiser Absolvierung seiner Gefängnisstrafe ... als lästiger Ausländer in sein Heimatland abgeschoben werden. Doch es kam anders. In Österreich bekam man offenbar, als man von dieser Absicht erfuhr, kalte Füße, und der österr. Gesandte in Berlin, Riedl, wurde beauftragt, beim deutschen Außenminister vorstellig zu werden ... Am Tag des Riedl-Besuches bedurfte es keiner Frage. Spontan sagte er, kaum daß er sich zu Tisch gesetzt hatte: ,Kinder, heute haben wir Österreich wieder einmal einen ganz großen Gefallen getan. Riedl war bei mir und beschwor mich geradezu, Hitler nicht wieder zurückzusenden. Österreich sei ein kleines Land, befände sich in einer wirt­schaftlich schlechten Lage und könne deshalb möglicherweise mit einem solchen Volks­aufwiegler nicht zurechtkommen.“ Riedls Worte: ,Der Mann macht die Leute bei uns, vor allem in Tirol, verrückt, in Ihrem großen Land wird er untertauchen, jedenfalls 317

Next

/
Thumbnails
Contents