Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
KUPRIAN, Hermann J. W.: „ …damit auch die Begabteren in Hinkunft dem Archivdienste treu bleiben…“. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Archivwesens 1892–1923
Hermann Ruprian noch stärkerem Ausmaß dienstbar zu machen. Aus dieser erhöhten - wenn auch intentionalen - Aufmerksamkeit der Regierung für die Anliegen des österreichischen Archivwesens suchten die stiefmütterlich behandelten Archivare in den Kronländern sogleich Kapital zu schlagen, indem sie eine Reihe berechtigter personeller, räumlicher und dienstrechtlicher Forderungen stellten, ohne freilich daran zu denken, den Plan bedingungslos zu unterstützen. Das ehrgeizige Bauvorhaben - nicht zuletzt eine Reaktion auf den immer offener zutagetretenden und in aggressivere Bahnen gelenkten Nationalismus und dessen wohl prägnanteste Ausformung, den staatsrechtlichen Dualismus - scheiterte schließlich aus „äußeren, mehr aber noch aus inneren Gründen, der Überspitzung zentralistischer Gedanken“10). Abgesehen von den massiven Widerständen der Archivare in den Rron- ländern, die keinesfalls bereit waren, ihre Positionen für die Erforschung der Landesgeschichte in Frage zu stellen, divergierten die reichlich eingeholten Gutachten und Meinungen kompetenter Gelehrter und amtlicher Stellen derart, daß die beabsichtigte hypertrophe Zentralisierung des österreichischen Archivwesens letztlich bereits in ihren Ansätzen stecken blieb11). Dennoch wurde der Ruf nach einer organisatorischen und fachlichen Verbesserung desselben immer lauter12), zumal die Einbindung der Archive in die Maßnahmen zum Schutz der Schriftdenkmäler ihnen allmählich auch in breiteren Kreisen größere Anerkennung zu verschaffen begann. Andererseits vollzog sich gerade bis zur Jahrhundertwende sowohl in den Landesarchiven als auch in den Archiven der staatlichen Behörden ein Generationswechsel, der zunehmend Absolventen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung an Stelle der autodidakten Registratoren in leitende Positionen brachte. An ihnen lag es nun, durch berufliches Engagement, wissenschaftlichen Eifer, aber auch durch gezielte Imagepflege zunächst die breite Öffentlichkeit für die neuen Aufgaben und Probleme der Archive zu interessieren13), um mit ihrer Unterstützung eine von politischen Kalkülen, bürokratischen Widerständen oder parteitaktischem Geplänkel immer wieder überlagerte Refor10) Ebenda, vgl. auch Brunner Institut 385ff. 11) Ausführlich über die diversen Pläne und Vorschläge siehe Goldinger Archivwesen 2 7 ff. 12) Insbesondere Heinrich Rretschmayr forcierte den Plan einer Ausgestaltung des Allgemeinen Archivs des Ministeriums des Innern zu einem großen Archiv der Zentralverwaltung. Vgl. Jakob Seidl Das Österreichische Statsarchiv in MÖStA 1(1948) 3-19, hier 4. 13) Über dasselbe Problem aus heutiger Sicht siehe den kritischen Beitrag von Bernhard Zittel Planung im Archivbereich in MÖStA 28(1975) 8-20. 196