Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's
Harald Heppner zeugt, dass Vieles übertrieben ist, was von diese Räubereien geschrieben wird; fest steht es doch, dass dies nur die Früchte des nachgiebigen radikalen Regimes sind. Denn diese Herrn zählen die Freibeuter auch zu ihren Parteigenossen; ob nun das Ministerium, welchem die Risztic- sianer Prügel zwischen die Füsse werfen, Ordnung schaffen wird, ist mehr als zweifelhaft. Fortschrittler gibt es nicht, aber die Radikalen haben im Volke, im enttäuschten Publicum, schon jetzt die Opposition. Wenn die Anarchie losbrechen sollte, hängt es vom König Milan ab, wieder einzugreifen. Man fürchtet ihn noch immer und - wie schon bemerkt - glaubt, die Abdankung - welche, wie es ein angesehener Kaufmann in seinem Cruseva- cer (27. VI.) Toaste heraussagte, „gegen die Natur“ ist - sei eine Finte. Um der langen Rede kurtzen Sinn zu fassen, steht es fest: dass die Mehrheit des serbischen Volkes zwar radikal, aber in sich zerfahren ist; Herr Risztic, wenn er gesunden wird, das Heft in die Hand bekommt; einen Krieg Niemand wünscht, sich vor Oesterreich aber fürchtet. Um die Rückwirkungen der serbischen Zustände auf die Unsrigen zu constatiren, hielt ich mich in Karlovitz und Neusatz auf. Die ungarländischen Serben sind nicht zufrieden. Abgesehen von der Misstimmung wegen dem kossovoer-ravaniczaer Verbote, gährt es fortwährend. Als wie wenn sie die Unterthanen der Obrenovice wären, gibt’s Radicale (die Mehrheit) und Uiberale unter ihnen. Allmählig geht viel Intelligenz nach Serbien hinüber und schon jetzt kann man constatiren, dass serbische Wissenschaft in Belgrad zu Hause ist, in Neusatz aber nur die Poesie blieb. Diejenigen, welche mit der Regierung im Connex stehen, sind entweder schwache Leute oder aus anderen Gründen nicht geachtet. Trotz allen scharfen Massregeln, welche immer taktlos angewendet werden, hat der Schwiegersohn Miletic’165), Jasa Tomié166), die Mehrheit für sich. Ich könnte viele dunkle und wunde Punkte aulführen, aber bei allem Missvergnügen behaupte ich, dass die ungarischen Serben nicht nach Serbien gravitiren. Im Gegentheil, und nicht nur ich, sondern alle, die in Serbien waren, hatten Gelegenheit sich darüber zu überzeugen. Unsere Serben bilden die Creme, die Aristokratie des Serbenthums im Gegensatz zu den Servianern, welche sie als Czinczaren für geringer und ungebildet halten. Sie haben sich allen Haders zu[m] Trotze sozial mit den anderen Nationen unserer Monarchie verbunden und fühlen sich im Auslande - sollen sie noch so Chau165) Svetozar Miletic (1826-1901), Jurist, Beamter, Abgeordneter im ungarischen Reichstag, Führer der nationalliberalen ungarischen Serben. 166) Jasa Tomié (1856-1922), Politiker, Schriftsteller, übernahm den linken Flügel der Nationalliberalen ungarischen Serben. Im Dezember 1889 ermordete er M.Dimitri- jevic, den Redakteur des „Branik“. 190