Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's
Serbien im Jahre 1889 seits wirklich Nichts geschah: eine Contrefeier wäre sehr heilsam gewesen143). An diesem Tage wurde die „grosserbische“ Pulverfabrik im Beisein von 1.000 Personen gegründet; Metropolit Michail fungirte wieder als Patron, der König war lustig, es wurde viel geschossen. Major Ciric144) hielt eine pulvergerüchige Rede. Am Platze war eine grosserbische Triumpfpforte. Die Fabrik soll im Ganzen auf 550.000 frc. zu stehen kommen und wird auf dem billig erworbenen Grundstücke Herrn Szi- mics’ (der es vom Vater erbte) erbaut. Der Staat baut diese in eigener Regie. Bei dieser Gelegenheit waren auch Studenten zugegen und es wundert mich zu hören, dass in drei serbischen Gymnasien (Nis, Krusevac, Belgrad) die Bulgaren als mongolische Talmi-Slaven pertraktirt werden. Abends war in einer eigens gebauten Hütte das Bankett mit 200 Gedek- ken. Die Stimmung war feierlich, das Menu der [?] nationalem Ge- schmacke rituell angepasst: Käse mit Zwiebel und Knoblauch, kaltes Schaffleisch, Wein Brot. Die Toaste hatte ich schon die Ehre mit zu theilen. Interessant ist es, dass der Fortschrittler Mijatovic speciell die Russen hochleben liess. Aus diesem Grunde und, um den Russen zu praevenire[n], redete ich meinen Toast, der, wie es schien, guten Eindruck machte. Der Russe Kulakovski sprach sehr mässig und liess den König-hoch leben. Während des Beifalls wurde durch einen russophilen Offizier die russische] Hymne intonirt, jedoch gleich auf Befehl Protic’ abgebrochen. Abends war Fackelzug, und da erfuhr ich, dass Herr Persiani145) aus Belgrad in Sicht sei. In der Nacht vom 28./29. [Juni] war eine grosse Orgie im Czinczaren- Hotel146) „Paskal“, arrangirt vom belgrader Gesangsverein, dem Herrn Kacanski (Insurgent 1848, Poet) und Herrn Professor Sreckovic (der auf grauem Gehrock ein Commandeur-Kreuz trug, wie denn ein Staatsrath auf einem Leinwandsacco das Grosskreuzband). Hiebei wurden Reden gegen die Schwaben, Magyaren gehalten, russisch-böhmische (kde do- mov muj)147) Lieder gesungen und die Vereinigung der Slaven prokla143) Thallóczy wußte zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichtes offenbar nicht, daß am Amselfeld doch eine mohammedanische Feier, aber ohne allen Aufruhr, stattgefunden hatte. Siehe dazu Vescovich an Kálnoky 4. Juli 1889 (HHStA PA XIX K 71 Liasse VI). 144) Lt. dem Buch Fünf Jahre am Hof des Königs von Serbien 71 handelt es sich um den Fliigeladjutanten des Königs Alexander. 145) Aleksandr Ivanovic Persijani, russischer Gesandter in Belgrad. 146) Zinzaren, Aromunen oder Kutzowlachen sind Nachkommen der Balkanromanen, die sich besonders im Handel, Gastgewerbe, Bankenwesen, aber auch in der Viehzucht betätigten. 147) Thallóczy merkt an: „Kde domov muj“ (Wo ist mein Haus?). 185