Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)

HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's

Serbien im Jahre 1889 Herrn Russen immer abgesondert, nur die Panslaven Kacanski114) und Sreckovic115) bekümmerten [!] sich um sie. Die serbischen Journalisten waren durch den famosen Pera Todorovic, Vidakovic (Dnevnik Srbski116)), der erst einen falschen Eid schwur (1885), und Jezdimirovic vom Sabaczer „Liberal“117) vertreten. Pera Todorovic, so zu sagen mit Jevrem Markovié (t 1883)118) der Grün­der der radikalen Partei, ist der interessanteste Typus Neu-Serbiens. Ein Schuft im grösseren Style, voll wilder, unbezähmbarer Leidenschaften. Er hat vieles gelernt, spricht und schreibt gut, besitzt eine fascinirende Agitationsgabe und ist im Stande, seiner Laune den eigenen Vater zu opfern. Bei Zajcar119) führte er die Leute gegen die Truppen, duldete 2 Jahre Gefängniss, verwarf sich dann, als ihn König Milan zu kirren verstand, mit den eigenen Parteigenossen, verrieth sie, wurde verkapp­ter Fortschrittler und wüthet jetzt in seiner populären Zeitung gegen Radikale, will Milan tödten und Serbien als Feuerherd der orientali­schen Frage auflodern lassen. Weil er alle die verborgenen Wege der Radikalen kennt, fürchtet man ihn; seine Zeitung, die „Male Novine“, wird stark gelesen, und wenn er nicht umkommt, steht ihm noch eine dunkle Rolle zu. Trotzdem er sehr schlau ist und die Radikalen Oester­reich gegenüber zu comprommitiren trachtet, kann man geschickter Weise doch Vieles bei ihm ausrichten. Jezdimirovic ist ein Einfaltspin­sel, der Oesterreich angreift, um bemerkt zu werden, wie es übrigens Alle thun. Und alle diese hochtrabenden Herrn Journalisten sind doch nur „Tintenklekse“; keiner geniesst eine Achtung: während man den letzten hellenischen Reporter einlud, liess man vom Bankett alle serbi­schen Journalisten aus. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass während der Feierlichkeit meine Person nicht die geringste Unbill erfuhr - nicht einmal einen schiefen Blick musste ich mir gefallen lassen. Es thut mir sehr lieb [!] auch constatiren zu können, dass die Reichsdeutschen in Serbien sich als wahre Genossen uns anschliessen; und wenn sie auch Concurrenz machen - in politischer Hinsicht stehen sie an unserer Seite. Die Lie­114) Stevan Vladislav Kacanski (1828-1890), Lehrer und Publizist („Srpska nezavis- nost“, „Velika Srbija“), nationalistischer Aktivist. 115) Pantelija Sreckovic (1834-1903), Professor für serbische Geschichte in Belgrad, Anhänger romantischer Geschichtsbetrachtung. 116) „Srpski dnevnik“, 1886-1889 in Budapest erschienen. 117) Der „Liberal“ war großserbisch und daher gegen Österreich-Ungarn ausgerich­tet, erschien in Sabac. 118) Jevrem Markovié (-1878), Offizier und Politiker. Thallóczy verwechselt ihn of­fenbar mit dessen Bruder Svetozar Markovié (1846-1875), dem Begründer der Radikalen Volkspartei, auch irrt er im Todesdatum. 119) Zajecar. Stadt im Timoktal (Ostserbien), wo 1883 ein von den Radikalen ge­schürter Aufstand ausgebrochen war. 181

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