Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's
Serbien im Jahre 1889 kann man auf den Eindruck verweisen, dass nun evident dastehe, wie viele Leute in Krusevac und Zica die Wiedergeburt des neuen Serbien gefeiert hätten, wären nicht die ungarisch-croatischen Gendarmen gewesen! Nach meiner Reise kann ich nicht umhin, meiner diesbezüglichen Meinung Ausdruck zu verleihen, dass es besser gewesen wäre - wie in Bosnien - Alles zu gewähren. Bei geschickter Leitung hätte man so in Ungarn wie in Ravanica loyale Kundgebungen erzielen können, wie ich mich davon auch überzeugte. Ferner, wir hätten die „hiniiber- gravitirenden Herrn“35) kennen gelernt, und dann: wie viele hätten den[n] für die Reise 150-200 fl. ausgeben wollen? Im Vergleich mit unseren Verhältnißen sind Krusevac und Kraljevo36) nicht geeignete Orte für eine Demonstration. Wer würde sich vor einer pangermanen Demonstration in Oberhollabrunn37) fürchten? Selbst die gefährlichen Situationsberichte unserer Confidenten waren übertrieben, denn obzwar Süd-Ungarn ein heikler Agitationsherd ist, kann man von dort keine Gefahr fürchten. Die Hetzereien der vielen, leider unbeachteten serbischen Blätter, die irredentistischen Wahlaufrufe der serbischen Parteien hatten indirecte eine gesunde Rückwirkung auf das bis jetzt indolente Ungarnthum, mit welchem das schwäbische Element38) Hand in Hand geht. Das Auflodern dieser beiden Elemente würde dem serbischen schwächeren Volksthume theuer bekommen. Das weiss man in Belgrad. Als ich in Belgrad ankam, fand ich die Stadt in der denkbar trägsten Stimmung. Die Garasanin-Hetze39) war vorüber, die Reste der Fortschrittler40) stoben auseinander. Selbst die nahenden Festlichkeiten üb55) Gemeint sind jene Serben aus der Monarchie, die dem Königreich Serbien zuneigten. 36) Stadt am Mittellauf des westlichen Armes der Morava. 37) Ortschaft im nördlichen Niederösterreich, heute „Hollabrunn“, ironisch als Symbol für einen Provinzort gemeint. 38) = die Deutschen in Südungarn. 39) Milutin Garasanin (1843-1898), bekleidete zwischen 1882 und 1887 mehrere Ministerposten, auch Ministerpräsident, Gründer der Serbischen Fortschrittspartei, wurde von König Milan entlassen, weil er sich auf die Seite der Königin Natalie gestellt hatte. Am 14. Mai 1889 in einen Aufruhr rund um den Parteitag der Fortschrittspartei verwickelt, wurde er verhaftet, dann aber wieder freigelassen. Diese Angelegenheit hatte in der serbischen Presse großes Aufsehen hervorgerufen. Siehe dazu Slobodan Jovanovic Flada Aleksandra Obrenovica (Die Regierung Alexander Obrenovic’) 1 (Beograd 1929) 127f. 40) 1880-1886 hatte die Fortschrittspartei (Srpska napredna stranka) überwiegend die Regierung getragen. Sie galt als westlich-demokratisch orientiert und war für die Zusammenarbeit mit Österreich-Ungarn eingetreten. Siehe dazu Petrovich History 406, 416-437 passim. Zum Parteiwesen generell Karl Kaser Typologie der politischen Parteien Südosteuropas im 19. Jahrhundert in Österreichische Osthefte 27(1985) 331-365. 165