Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

Rezensionen 471 zweiten österreichischen Nationalrätsel, wer nämlich den zweiten Schuß auf den Kanzler abgegeben habe, behandelt er bisher in der Literatur nicht aufgearbeitete Fakten, wie etwa die erst 1984 getroffene Aussage des damali­gen Verteidigers der Putschisten Dr. Führer. Wie ein roter Faden zieht sich durch V’s Werk (von wenigen Ausnahmen abgesehen) die Emotionslosigkeit des Juristen, die Sachkenntnis des Histori­kers und die Korrektheit des altösterreichischen Beamten. Ohne jegliche Senti­mentalität wird die Unmöglichkeit dokumentiert, eine Seite allein für die Jahre 1933/34 verantwortlich zu machen — wobei freilich in Rechnung gestellt werden muß, daß gerade in dieser Zeit die Vertreter von V’s Richtung in den Hintergrund gedrängt waren. Abschließend sei bemerkt, daß V. bestimmt nicht jener katholisch-nationalen Richtung zuzuordnen ist, die eine Anbiederung an das nationalsozialistische Deutschland betrieb: Abgesehen davon, daß er die Nationalsozialisten in den österreichischen Gremien stets als indiskutabel ablehnte, hätte er sonst wohl auch kaum gewagt (was aus seinem Buch allerdings nicht hervorgeht), noch 1939 eine illegale Zeitschrift für seine längst verbotene ÖCV-Verbindung „Rudolfina“ zu fabrizieren. Den äußerst detaillierten Literaturangaben folgt leider kein Register, was im speziellen Fall besonders schade ist, da bei der großen Zahl behandelter Politiker die systematische Suche stark erschwert wird. Der Stil ist ebenso trocken und nüchtern wie die Zeitanalyse: ein Umstand, der den wissenschaft­lichen Anspruch des Werkes zumindest nicht beeinträchtigt. Robert Rill (Klosterneuburg) Ernst Hanisch Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz. Salzburg im Dritten Reich (Schriftenreihe des Landespressebüros, Serie Salzburg Dokumentationen 71). Landespressebüro Salzburg, Salzburg 1983. 362 S., 131 Abb. Die vorliegende Studie ist die erste auf breiter Materialbasis gearbeitete und internationale Forschungsergebnisse reflektierende Gesamtgeschichte eines österreichischen Bundeslandes im „Dritten Reich“. Sie verdient gerade wegen ihres landesgeschichtlichen Ansatzes, der die Entwicklung des Landes 1938 bis 1945 mit gesellschaftsgeschichtlichen und herrschaftsstrukturellen Überle­gungen verbindet, besondere Beachtung. Waren die Studien von Harry Slap- nicka und Gerhard Botz über Oberösterreich und Wien noch überwiegend älteren Mustern verpflichtet, standen beim erstgenannten Werk historische Vorbilder Pate, so versuchte das auf die Ereignisse der Jahre 1938 und 1939 beschränkte Wien-Buch die politisch-soziale Umgestaltung durch den Natio­nalsozialismus festzustellen. Demgegenüber beansprucht der Autor des vorlie­genden Bandes, „die NS-Herrschaft in der österreichischen Provinz typolo- gisch feiner strukturiert darzustellen als bisher und mit einer gesellschaftsge­schichtlichen Perspektive - von der Wirtschaft bis zur (Hoch)kultur - zu verbinden“ (S. 15). Die Jahre 1938 bis 1945 in Salzburg werden vom Autor auf drei Betrachtungs­ebenen untersucht: Mit dem modernisierungstheoretischen Konzept einer zu­mindest partiellen und auf die erste Phase der NS-Herrschaft bezogenen „Entprovinzialisierung“ des Landes argumentiert der Autor landesentwick­lungsgeschichtlich. Das Herrschaftssystem wird mit Hilfe des von Peter Hüt­tenberger 1976 formulierten „Polykratiemodells“ beschrieben. Dem „Alltag“

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