Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)
LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes
18 Ernst Laubach indem sie die „nacionalversamlung“ diesmal beim Kaiser beantragten und nicht selbst beschlossen. Das klare Veto der Nachinstruktion gegen jede weitergehende Beratung der Religionsfrage in Abwesenheit des Kaisers wurde dazu verwertet, die Notwendigkeit seiner persönlichen Teilnahme besonders zu betonen95 *). In der „frey nációnál versamlung aller stende teutscher nacion“ (man beachte die Tautologie!) sollten Kaiser und Reichsstände Zusammenarbeiten. Der Terminus „Nationalkonzil“ mußte fallen, damit man dem Vorwurf der Absonderung der „deutschen Nation“ von der allgemeinen Kirche Vorbeugen konnte — die im Entwurf vorgesehene Beteuerung, daß keine Neuerung in Glaubensdingen beschlossen werden solle, wurde als Selbstverständlichkeit gestrichen 9B) —, aber auch, weil die Stände nicht mehr auf die päpstliche Zustimmung warten wollten, denn die Erwähnung seiner Mitwirkung bei der Anberaumung des Generalkonzils wurde ebenfalls getilgt 97). Eine interessante Änderung hatte der erneute Vorschlag, zur Vorbereitung der Entscheidungen ein Gelehrtengremium auf Reichskosten einzuberufen, gegenüber 1524 erfahren: Es sollte klein und paritätisch — „sechs oder acht trefflicher gelerter frommer und dapferer manner von beiden teilen darzugegebben“ — zusammengesetzt sein 98 * *). Endlich hielten die Reichsstände die Auffassung aufrecht, daß das Wormser Edikt ohne konziliare Entscheidung der Lehr- und Kirchenfragen nicht praktikabel sei. In den Reichstagsabschied sind die Grundgedanken der Instruktion ohne wesentliche Änderungen übernommen worden "). Eine „Nationalversammlung“ würde also nach dem Verständnis der Reichsstände von ihnen selbst gebildet; sie richtete sich nicht gegen den Kaiser, denn er gehörte dazu. Sie hätte über Probleme aus dem Bereich von Theologie und Kirche zu beraten, für die der Reichstag herkömmlicherweise nicht zuständig war. Die Frage an die Zukunft war, ob diese gedachte Variante einer Reichsversammlung sich in der Sache und Benennung durchsetzen würde. Für unsere Interpretation spricht erstens die Erwartung, die kein geringerer Teilnehmer an den Verhandlungen als Kurfürst Johann von Sachsen dreieinhalb Jahre später in Übereinstimmung mit seinen Räten an die neue Reichsversammlung in Augsburg (1530) knüpfte. Die Ankündigung des Kaisers im Ausschreiben, den Zwiespalt in der Religion nach wohlwollender Anhörung und Abwägung der verschiedenen Auffassungen „zu ainer ainigen christlichen warhait zubringen und zuvergleichen“ 10°), 95) Ebenda fol. 139r. 9B) Ebenda fol. 126r bzw. 136r. 97) Friedensburg Speyer 1526 413 Anm. 2. »8) Ebenda 557. ") Ebenda 463. Die Aussage bei J e d i n Konzil von Trient 1 200, Ferdinand habe die „dehnbare Formel“ des Abschiedes „erfunden“, ist irrig. 10°) Gedruckt im Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augs-