Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 5 dung des Wormser Ediktes 17). Auf die Gründe, warum das Edikt ohne durchschlagende Wirkung geblieben war, ist hier nicht einzugehen. Aus den Beratungen der Stände über die zu erteilenden Antworten wird zweierlei deutlich18 *): Erstens, wie sehr sie das völlige Ignorieren der vor einem Jahr vorgetragenen Beschwerden und Anregungen seitens des Le­gaten — also der Kurie — befremdete10). Und zweitens, wie mittler­weile sich bei ihnen die Auffassung verfestigt hatte, daß auf dem Wege der Repression allein die kirchlichen Probleme nicht mehr zu lösen seien, sondern daß die von Luther aufgerührten theologischen Fragen, die loka­len Neuerungen im kirchlichen Leben Deutschlands und natürlich auch die schon länger anstehenden Beschwerdepunkte dringendst eine argu­mentative, verbindliche Behandlung erheischten. Dafür erachteten sie das allgemeine Konzil weiterhin als erforderlich. Da man sich aber des Ein­drucks nicht erwehren konnte, daß ein solches in absehbarer Zeit kaum zustande kommen würde, zumal bei der abweisenden Haltung der Kurie, begannen sie über mögliche Ersatzlösungen zu diskutieren. Dabei wurde der Vorschlag vorgebracht, „das allain die Teutsch Zungen ain gesondert frei und offen concilium halten und besliessen soll, dann solichs in kurz beschehen möchte, sambt dem das dise irthumb, davon oben gemelt am meisten in Deutscher nacion entsprungen und noch vorhanden“ 20), und fand eine Mehrheit21). Dementsprechend wurde der Legat ersucht, sich mit dem Reichstag über Termin und Ort für ein „gemain oder nacional- consilium, welchs am furderlichsten und am geschicklichsten erhalten mö­ge werde,“ zu verständigen, und den Vertretern des Kaisers, Erzherzog Ferdinand und Hannart, wurde dasselbe als Empfehlung für den Reichs­tagsabschied mitgeteilt22). Weil eine solchermaßen begrenzte Veranstaltung rascher ins Werk ge­setzt werden könnte und weil man sich von ihr eine Beschwichtigung der spürbaren Unruhe in der Bevölkerung erhoffte, fand die Idee eines deut­schen „Nationalkonzils“ bei den Reichsständen Anklang23). Auch nahm man an, daß die anderen „Nationen“ von den durch Luther aufgeworfe­u) RTA JR 4, bearb. von Adolf W r e d e (Gotha 1905) 295 (Hannart), 485 und 487 f (Campeggio). is) RTA JR 4 198 ff. i») Dazu auch Borth Luthersache 146f, der jedoch zur Überinterpretation neigt, indem er einzelne, beratungsweise geäußerte Vorschläge als feste Bestand­teile des Ständebeschlusses stilisiert. 20) RTA JR 4 201 Z.15—19. 21) Ebenda 202 Z.12—17. Es fällt auf, daß in diesen protokollarischen Auf­zeichnungen die Alternative zum Generalkonzil noch „Provinzialkonzil“ heißt (so auch RTA JR 4 165 Z.2), während in dem offiziellen Dokument dann „Natio­nalkonzil“ steht (s. Anm. 22); dies signalisiert, wie wenig einheitlich die Ter­minologie war. Was vorschwebte, war eine kirchliche Partikularversammlung etwa auf der Ebene des Reiches. Zur Bedeutung von „Nation“ siehe unten S. 11 ff. 22) Ebenda 500 f und dazu 162 Z.23—26. 23) So auch H o f m a n n Konzilsfrage 78.

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