Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 37. (1984)

SPIELMAN, Danila Cole – THOMAS, Christiane: Quellen zur Jugend Erzherzog Ferdinands I. in Spanien. Bisher unbekannte Briefe Karls V. an seinen Bruder (1514–1517)

6 Danila Cole Spielman und Christiane Thomas auf das Archiv zuschieben: Waren denn Bauer alle Bestände zugänglich und greifbar? Oder abgewandelt: Wie offen war das Archiv, inwieweit waren seine Schätze für die wissenschaftliche Benützung erschlossen? Hier gilt es sich zu lösen von der Selbstverständlichkeit des freien Zutritts für jeden Interessenten, sei es Fachmann oder Laie, eingeschränkt nur durch eine 40jährige Benützungssperre, die die jüngsten Akten abschirmt. Zugang hatten nur diejenigen Wissenschaftler, denen die Direktion das Aktenstudium gestat­tet hatte, denen gegenüber „die Bewilligung Sr. Excellenz des Herrn Archivdi­rektors“ ausgesprochen worden war, wie es z. B. 1886 bei Carl August Ludwig Hermann Baumgarten, dem Biographen des jungen Karl V., hieß18). Und diese Regelung bedeutete schon einen großen Fortschritt im Vergleich zu den Zeiten, als das Ministerium des Äußern bzw. die Staatskanzlei über die Zulassung bestimmt hatte19). Es war das große Verdienst Alfred von Ameths gewesen, 1868 durchgesetzt zu haben, daß bei ihm als Direktor des betroffenen Archivs das maßgebliche Votum lag; der Archivar und Historiker begutachtete also den Fachkollegen, der sich schriftlich oder persönlich bei der Direktion anmelde­te20). Auch wenn dies ohne Zweifel eine Erweiterung des Personenkreises ergab, da die Erlaubnis für die ernste Wissenschaft stets liberal gehandhabt wurde, so dürfen wir daraus nicht auf eine völlige Öffnung der Bestände schließen: Der Benützer gab nicht exakte Karton- oder Faszikelbestellungen, sondern seine thematischen Wünsche bekannt, er „ersucht um Einsichtnahme in Belgica aus der Zeit der Statthalterin Margarethe“21), der Archivar seinerseits legt die Akten vor, die er ausgewählt und vor allem vor der Ausgabe überprüft hatte22). Er war berechtigt, Aktenstücke zurückzuhalten, übte also eine Art Zensur aus, für die allerdings keine genauen Richtlinien aufgestellt waren23). Unter diesen Bedingungen mußte auch Wilhelm Bauer seinen For­schungsauftrag in Angriff nehmen. Praktisch waren sie aber für ihn irrelevant: Dem Mitarbeiter der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs sprach 18) HHStA Kurrentakten ZI. 81/1886. 19) Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, hg. von Ludwig Bitt­ner, 1 (Wien 1936) 170*. 20) Ebenda 171*. 21) HHStA Kurrentakten ZI. 77/1910 (Ansuchen Bauers). 22) Gesamtinventar 1 177*. 23) Die Existenz einer Zensurierung oder zumindest einer Überprüfung der auszuge­benden Akten durch den Archivar mußte vor den Forschem geheim gehalten werden, was nach Ansicht des Archivars Hans Schiitter dazu führen mußte, daß die Beamten, denen damit eine zeitraubende Tätigkeit aufgebürdet war, als wenig arbeitsame Inhaber einer Sinekure schienen: Ebenda 178*. Ludwig Bittner, dem es im Gesamtinventar nicht etwa um eine Verteidigung der Zensur ging, versuchte, sie dem Leser verständlich zu machen: „Es ist nun einmal so, daß die Belange des Staates mit den Belangen der schrankenlosen Forschung letzten Endes unvereinbar sind. Ein lebender Staatskörper kann ebensowenig wie eine Privatperson auf das Recht verzichten, darüber zu wachen, daß aus seinen eigenen Archiven keine Veröffentlichungen hervorgehen, die das Staats­wohl schädigen“: ebenda 177*. Sollte dies eine „schrankenlos“ fordernde zeitgeschicht­liche Forschung, die auf Aufhebung der 40jährigen gleitenden Archivsperre drängt, nicht hin und wieder berücksichtigen?

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