Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 259 gesetznovelle von 1925 keine besondere Bedeutung mehr55). Gleichwohl schien das Problem Zensur oder Aufführungsbewilligung auch hier noch nicht endgültig abgetan. Daß die Direktoren der Bundestheater „es als ihre künstlerische Aufgabe in Anspruch nehmen, die aufzuführenden Stücke selbständig auszuwählen“, war der obersten Theaterverwaltung dieser Zeit suspekt. Deshalb richtete der „Bundestheaterkommissär“ Dr. Prüger, Sektionschef im Unterrichtsministerium, ein mit 27. April 1926 datiertes Schreiben an das Bundeskanzleramt-Abteilung Inneres 56). Dar­in bemerkte er, daß zwar die zur Aufführung ausgewählten Stücke der Polizeidirektion zur Einsicht vorgelegt würden (was, wie erwähnt, nur selten der Fall war); es sei aber „schon die Annahme der Stücke einer Überprüfung zu unterziehen“ und zwar hinsichtlich der Kosten für die Ausstattung. Der Bundestheaterkommissär, der eingesetzt war, um das hohe Defizit bei den Bundestheatern einzudämmen, erbat sich die Nomi­nierung eines Funktionärs, „der nach d. o. Anschauung geeignet wäre, diese Amtshandlung zur Wahrung aller hier in Betracht kommenden öf­fentlichen Interessen zu übernehmen“. Dieser hätte dann zu entscheiden, ob gegen ein zur Aufführung eingereichtes Stück „aus allgemeinen öf­fentlichen Rücksichten kein Bedenken obwaltet“. Selbstverständlich wäre dies eine neue Art der Zensur gewesen. Aber das Schriftstück blieb im Bundeskanzleramt liegen, ehe es — obwohl mit Rotstift als „dringend“ ausgewiesen — laut einem beiliegenden Zettel am 16. Jänner 1933 uner­ledigt an die Bundestheaterverwaltung zurückgeschickt wurde. Unmittelbarer Anlaß zu dieser beabsichtigten Maßnahme waren anony­me Schreiben von Theaterbesuchern an den Bundestheaterkommissär zu Schnitzlers Komödie der Verführung, welche am 11. Oktober 1924, und Lenormands Stimmen aus dem Dunkel, welche am 3. Jänner 1925 am Burgtheater zur Aufführung kamen. Burgtheaterdirektor Herterich ver­wies in seiner Stellungnahme darauf, daß „der Name Schnitzler genug Gewähr für ein Burgtheaterniveau geben muß und direkt anstößige Stellen in diesem Stück nicht Vorkommen. Die Zurückwei­sung dieses Stückes aus etwa sittlichen oder sonstigen Bedenken würde in der Öffentlichkeit einen noch nicht dagewesenen Sturm der Entrüstung her­vorgerufen haben. Da das Stück im Rahmen des Musikfestes der Stadt Wien aufgeführt wurde und die Direktion keinerlei Bedenken hinsichtlich des Ni­veaus anerkennen kann, ferner das Stück auch aus geschäftlichen Gründen bei dem derzeitigen Mangel an guten modernen Theaterstücken nicht einem an­deren Theater überlassen konnte, so kann die Direktion etwaig geäußerten Bedenken nur auf besonderen Wunsch der Vorgesetzten Behörde Rechnung tragen.“ Im zweiten Stück sah Herterich nur eine Szene, „welche durch ihre starke Offenheit eventuell angetan wäre, in sittlicher Hinsicht besonders zart­fühlende Besucher zu verletzen“. Die betreffenden Sätze könnten leicht 55) Vgl. Dirnberger Konflikte 279. 5B) Das Folgende nach BThV ZI. 1019 ex 1926. 17*

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