Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 255 Neue Freie Presse schrieb etwa in einem Leitartikel „Es gibt keine Thea­terzensur. Ein erfreuliches Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes“ in der Morgenausgabe des 23. März 1926: „Die letzten Reste der Zensur werden nun verschwinden. Das ist ein begrü­ßenswerter Fortschritt, und man muß nur wünschen, daß die neue Freiheit in würdiger Weise genossen werde und daß jeder Mißbrauch der errungenen Mündigkeit unterbleibe ...“. In einem weiteren Artikel im Blattinnem ist darauf verwiesen, daß bei Mißbrauch die Bestimmungen des Strafgesetzes zur Anwendung kämen. Übertretung des Aufreizungs- oder der Sittlichkeitsparagraphen würde den Staatsanwalt auf den Plan rufen. Ein objektives Verfahren sei damit in gewissem Sinne abgeschafft, die Betroffenen würden mit größeren Gefahren bedroht und gezwungen, sich der Verantwortung voll bewußt zu sein. Der Artikel erinnerte an die Zustände in Hamburg nach der Abschaffung der Theaterzensur am Beginn des Jahrhunderts, als „die Theaterdirektoren mit Resolutionen und Petitionen und in Deputationen die Wiedereinführung des so bequemen ,Zensurfaulenzers‘ forderten und nicht übel Lust hatten, in einen regelrechten Streik zu treten, wenn anders man ihnen den früher so grimmig befehdeten und verschimpften Zensor zurückgebe“. Trotz des veralteten Systems hätten die letzten Zensurbeiräte — Dr. Karl Glossy, Dr. Friedrich Engel und Ludwig Tils — ihr heikles Amt verhältnismäßig milde verwaltet und „viel Taktgefühl und Verständnis für die Forderungen unserer Zeit an den Tag“ gelegt. Die neue Situation erfordere nun die Schaffung eines neuen Theaterge­setzes, dessen Entwurf reiflich durchzudiskutieren wäre, um von den vormärzlichen Vorschriften zur Gänze loszukommen. Die Zeitungen boten aber nur Streiflichter in die fernere und unmittel­bare Vergangenheit. Um die teilweise entstandenen Verwirrungen nicht noch weiter fortschreiten zu lassen, griff Polizeipräsident Schober zur Feder und setzte sich detailliert mit dem Fragenkomplex „Zensur“ aus­einander. Er übergab seine „aktuelle Betrachtung“ der Neuen Freien Presse, die den langen Artikel am 6. April 1926 herausbrachte. Schober erinnert zuerst an die unmittelbare Vorgeschichte, die zur Auf­hebung der Zensur durch den Verfassungsgerichtshof führte. Dann stellt er die Frage nach den Folgen der Entscheidung und inwieweit die Praxis von der Entscheidung berührt werde. Einer Antwort schickt er eine wei­tere Frage voraus: Gab es denn in der letzten Zeit noch eine Zensur? Die Antwort: „Eine Zensur im technischen Sinne gab es nicht mehr. Mindestens nicht mehr seit Ende 1918. Was Zensur genannt wurde, war nur die Handhabung jener minimalen Vorsichtsmaßnahmen, deren ein Staat, solange regieren vorausse­hen heißt, nicht wird entraten können, soll nicht das Chaos an Stelle des Restes von Autorität treten, dessen wir uns in Österreich noch erfreuen. Was gegen das Strafgesetz verstößt, was geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ord-

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