Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 253 Unter dem Vorwand einer geänderten Rechtslage erfolgte hier ein Fron­talangriff auf die oben beschriebene höchstgerichtliche Entscheidung vom 16. Dezember 1919. Dagegen Sturm zu laufen, war beinahe eine aus­sichtslose Angelegenheit. Noch dazu „polemisierte“ — wie das Gerichts­protokoll festhielt — Dr. Grünberg vor allem gegen diese Entscheidung von 1919: „Die Einschränkung der Absicht des Gesetzgebers“, daß sich der Beschluß von 1918 nur auf die Pressezensur beziehe, gehe aus dem Gesetz selbst nicht hervor, sondern ergebe sich aus dem Gutachten des seinerzeitigen Berichterstatters. Die Aufnahme des Beschlusses in das Bundesverfassungsgesetz widerlege „die Meinung, daß es sich nur um die Abschaffung der Pressezensur handle.“ Aus diesem Grunde beantrage er, der Beschwerde Folge zu geben. Der Vertreter des Bundeskanzleramtes opponierte selbstverständlich ge­gen dieses Vorbringen; im wesentlichen wiederholte er aber die bereits schriftlich vorgelegten Argumente. Danach habe es keine Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechtes gegeben. Die Theaterordnung von 1850 schreibe die „Erwirkung einer nach freiem Ermessen zu erteilen­den Aufführungsbewilligung vor“. Eine Theateraufführung gehe „über den Rahmen derjenigen Formen hinaus“, die Artikel 13 des Staatsgrund­gesetzes von 1867 „als Mittel der freien Meinungsäußerung“ anführe. In diesem Grundgesetz sei von einer bühnenmäßigen Darstellung keine Re­de; was für eine Aufführung ungeeignet sei, bestimme die gleichzeitig mit der Theaterordnung verlautbarte Instruktion für die Landeschefs. Die Streichung einzelner Stellen des Textes sei damit gesetzlich gedeckt. Wegen der Zuziehung des Theaterbeirates verwies das Bundeskanzleramt auf den entsprechenden Erlaß des Ministeriums des Innern von 1903. Die Behörden hätten demnach gesetzeskonform entschieden, sodaß die Beschwerde abzuweisen wäre. Das Erkenntnis von 1919 bildete in dieser Beweisführung zwar den Aus­gangspunkt, jedoch nicht die Hauptsache. Nun kam es auf die Haltung der Verfassungsrichter an, ob sie die frühere Entscheidung bekräftigten oder sich zu einer Revision derselben durchzuringen vermochten. Der Referent war Dr. Hans Kelsen, der 1919 zu den Befürwortern der Statt- gebung der Beschwerde gezählt hatte. Er verwies darauf, daß das Bundes­verfassungsgesetz von 1920 eine neue Situation geschaffen habe, der nun Rech­nung zu tragen sei. Friedrich Austerlitz, ebenfalls Befürworter im früheren Verfahren, schloß sich der Ansicht des Referenten an; da es 1920 keine Presse­zensur mehr gegeben habe, wäre die Aufnahme des Beschlusses in das Bun­desverfassungsgesetz sinnlos gewesen. Dr. Arnold Eisler, 1919 noch nicht in dieser Funktion, verwies darauf, daß den Verfassern des Bundesverfassungs­gesetzes das Erkenntnis von 1919 sicher bekannt war; gerade unter Zugrunde­legung dieses Erkenntnisses müsse die Beschwerde angenommen werden. Dr. Julius Sylvester, der an der Entstehung des Beschlusses unmittelbar mit­wirkte und auch 1919 als Befürworter auftrat, bemerkte, daß Dr. Ofner als Berichterstatter seinerzeit (im Oktober 1918) bei der Beschlußfassung keinerlei Einschränkung auf die Pressezensur geltend gemacht habe. Aus präjudiziellen

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