Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

248 Franz Dirnberger ungünstig. In der taxativen Aufzählung der Bundeskompetenzen fände sich im Bundesverfassungsgesetz die Theaterzensur mit keinem Wort er­wähnt. „Woferne man also nicht etwa die stark gekünstelte Konstruktion: auch die Theaterzensur gehöre zu den künstlerischen Einrichtungen“ vertreten will, steht wohl kaum in Frage, daß die Theaterzensur gemäß Art. 15/1 B.V.G. Landessache ist, mithin in Wien vom Stadtsenate, und zwar auch hinsichtlich der durch keinerlei gesetzliche Vorkehrung eximierten Staats(Bundes)theater ausgeübt werden dürfte“ 34). Wegen der divergierenden Ansichten kam keine Einigung zustande. Als im Juni 1921 im Schönbrunner Schloßtheater Bemard Shaws Helden auf­geführt wurden, mußte das Stück wegen Protestveranstaltungen vom Pro­gramm abgesetzt werden. Zuvor wandte sich das Innenamt auf einen entsprechenden Bericht der Polizeidirektion an das Unterrichtsamt mit dem Ersuchen, das Stück entweder absetzen oder die diskriminierenden Stellen mildern zu lassen. Dasselbe Schreiben enthielt die grundsätzliche Feststellung, „daß, wie der vorliegende Fall deutlich zeigt, es überhaupt ersprießlich wäre, wenn die Frage der Erstaufführung von Theaterstücken an den Staatstheatern den ressortmäßigen Kompetenzen entsprechend“ — gemeint war die Kompe­tenz des Innenamtes — „in der Weise geregelt würde, daß vor der Erstauf­führung jedes Stückes das Einvernehmen mit den zur Handhabung der admi­nistrativen Polizei berufenen Stellen (Abteilung für Inneres und Polizeidirek­tion) durch Übersendung des Textbuches und Beiziehung zur Generalprobe hergestellt werde“ 35). * * 84) Im nachhinein läßt sich diese Tatsache, daß die Theaterzensur im Bun­desverfassungsgesetz mit keinem Wort erwähnt ist, damit erklären, daß mit dem zum Verfassungsgesetz erklärten Beschluß vom 30. Oktober 1918 selbst­verständlich auch die Theaterzensur als aufgehoben angesehen wurde und sich daher eine diesbezügliche Regelung erübrigte. Die Rechtslage könnte aber noch nach einem anderen Aspekt beurteilt werden. Artikel 15/1 des Bundesverfas­sungsgesetzes bestimmt: „Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbständigen Wirkungskreis der Länder“. Die Landesbehörden argumentierten, die Zensurbefugnis bzw. Theaterpolizei sei im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, demnach würde sie in die Kompetenz der Länder fallen. Nun heißt es im Gesetz nicht „fällt sie ..sondern „ver­bleibt sie ...“. Ein Verbleiben setzt einen früheren Besitz voraus; die ehemali­gen Hoftheater unterstanden jedoch, wie wiederholt nachgewiesen, in keiner Weise einer Landeskompetenz, dafür war immer die oberste Hof(theater)be- hörde zuständig. Mit der Vollzugsanweisung vom 21. Mai 1920 war die oberste Hof(Bundes)theaterbehörde das Unterrichtsamt (siehe Dirnberger Konflik­te 239, bes. 251). Nach Artikel 18/2 Bundesverfassungsgesetz wäre es somit Aufgabe des Unterrichtsamtes gewesen, die theaterpolizeilichen Angelegenhei­ten dieser Theater zu regeln. Die fragwürdige Formulierung „künstlerische Angelegenheiten“ in Artikel 10/13 des Bundesverfassungsgesetzes könnte so­nach ganz außer Betracht bleiben. 35) Polizei-Archiv Wien Berichte-Abschriften K. 25 Pr. ZI. IV—3—9/1 ex 1921; IA ZI. 157117 von 1921 Juni 14/17.

Next

/
Thumbnails
Contents