Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

244 Franz Dirnberger vom 21. Dezember 1867 vor und zwar im Zusammenhang mit der Presse. Wenn in späteren Gesetzen von „Zensur“ die Rede sei, könne immer nur die Zensur der Presse gemeint sein. Eine Bestätigung dieses Zusammen­hanges liefere auch das stenographische Protokoll der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918; in Punkt 5 der zweiten Sitzung sei nur die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit erwähnt, nicht aber die Theater- oder Kinozensur. Auch der Titel des Antrages des Vollzugsausschusses und das Inhaltsverzeichnis zum Staatsgesetzblatt ließen diesen Bezug erkennen. Die Theater- und Kinozensur sei eine Präventivmaßnahme, welche geradezu notwendig sei. „Gerade in letzter Zeit sei der Versuch gemacht worden, den Filmmarkt mit unsittlichen Filmwerken zu überschwemmen. Dagegen nütze nur der Zwang der Vor­lage.“ Im übrigen sei die Theater- und Kinozensur von den beteiligten Kreisen selbst begehrt worden, um unnötige Kosten zu vermeiden. Die Beibehaltung dieser Zensur sei also voll berechtigt. Der Behördenver­treter „bat“ um Abweisung der Beschwerde. In der nichtöffentlichen Sitzung gab es offenbar eine ziemlich heftige Debatte. Die Herren Friedrich Austerlitz und Dr. Robert Neumann-Etten- reich traten dafür ein, daß die Formulierung „jede“ Zensur auch die Theaterzensur einschließe, Dr. Hans Kelsen bezeichnete den Beschluß als „ein Beispiel für die Differenz zwischen der Absicht des Gesetzgebers und dem Wortlaut des Gesetzes“. Die vorliegende Formulierung bezeichne ein Grundrecht, wogegen die Pressefreiheit nur ein Spezialfall wäre. Wenn die Regierung die Beibehaltung der Theaterzensur wünsche, müsse sie dafür Sorge tragen, daß geeignete gesetzliche Bestimmungen erlas­sen würden. Seiner Meinung nach habe der Verfassungsgerichtshof nur die Gesetzeslage zu prüfen, nicht aber Gesetze zu schaffen. Gegen die Ansicht, daß die Formulierung „jede“ Zensur auch die Theaterzensur einschließe, sprachen Dr. Victor Kienböck, der Stellvertreter des Präsi­denten Dr. Adolf Menzel und sonderbarerweise auch Dr. Julius Ofner als Berichterstatter. Ihre Argumente stützten sich auf Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes von 1867, in dem die Theater mit keinem Wort er­wähnt waren. Die Theaterzensur sei nie in die freie Meinungsäußerung einbezogen worden, daher könne sich der Beschluß nicht auf diese be­ziehen. Menzel bemerkte überdies, daß 1848 keine Aufhebung der Thea­terzensur stattgefunden habe. Ebenso wie Kienböck befürwortete Ofner aus praktischen Gründen die Beibehaltung der Präventivzensur, welche er aber nicht als Zensur im üblichen Sinne bezeichnet wissen wollte. Daraufhin stellte Dr. Julius Sylvester, der als Staatsnotar einmal die Gesetzesbeschlüsse zu beglaubigen hatte, die Frage, ob es dann über­haupt eine Theaterzensur gebe. Wenn ja, würde sie seiner Meinung nach sehr wohl unter den Beschluß von 1918 fallen. Austerlitz und Ofner ver­neinten eine gesetzliche Theaterzensur. Dagegen machte der Vorsitzende Dr. Paul Vittorelli den Einwand, daß es nicht auf den Wortlaut des Ge-

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