Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
Universitätsreform — Gesellschaftsreform 141 (§ 15). Dem Rektor wurde durch das vorgeschlagene Statut das Recht zugeteilt, die Disziplinargewalt über alle Mitglieder der Universität auszuüben sowie diese „zu ermahnen“ und von ihren Funktionen zu suspendieren (§ 16). Wesentliche Bestimmungen enthielten § 19 — die akademischen Nationen wurden für aufgehoben erklärt - sowie § 22 - die akademischen Würden konnten laut Entwurf nur von Katholiken bekleidet werden. Ausnahmen, so hieß es, seien wohl möglich. Dieser Entwurf, den der Unterrichtsminister selbst verfaßt zu haben scheint (die Konzepte deuten darauf hin20), lief offensichtlich darauf hinaus, die Reste des alten Korporationscharakters der Universität zur Gänze zu beseitigen und diese in eine wissenschaftliche Staatsanstalt nach dem Humboldtschen Muster, wie es an deutschen Universitäten praktiziert wurde, zu verwandeln. Diese Anlehnung an das deutsche Vorbild wurde allerdings von Thun kein einziges Mal ausgesprochen. Im Gegenteil: Er argumentierte sehr geschickt mit den Traditionen des Hauses Habsburg, dem ursprünglichen wissenschaftlichen Charakter der Universität unter dem Gründer der Alma Mater Rudol- fina, Rudolf IV. dem Stifter, und den alten Universitätsstatuten von 138621). Das war erstens klug gegenüber dem Kaiser, der den Traditionen seines Hauses bekanntlich sehr verbunden war. Zweitens wird deutlich, daß der Unterrichtsminister auf dem Boden der historischen Schule stand, deren Einführung an der juridischen Fakultät schließlich ihm zu verdanken war22), und Recht aus den geschichtlichen Traditionen herleitete. Eine Universität dieser Art, wie sie von Thun vorgeschlagen wurde, konnte konsequenterweise — wie bei den deutschen Universitäten — nur mit der Machterweiterung der Professoren verbunden sein. Deshalb trat der Unterrichtsminister für die Hebung der Position der Professorenschaft ein — in erster Linie mit dem von ihm für sehr wichtig gehaltenen Argument der Wissenschaftlichkeit der Hochschulen: Überall dort, wo auf den Universitäten eine Restauration der Wissenschaften stattgefunden habe, sei auch das Ansehen der Professoren gesteigert worden, und das, so meinte er, „mit Recht“, denn es vertrüge sich kaum mit dem Gedeihen einer Anstalt, neben die „arbeitenden Kräfte“ (für Thun die Professoren) „Drohnen“ (das waren seiner Ansicht nach die Doktoren) hinzusetzen, die nur die Ehrensitze und Geldbeträge einzunehmen hätten23). 20) Allgemeines Verwaltungsarehiv Wien (im folgenden AVA) Unterrichtsministerium-Allgemeine Reihe (im folgenden UM-AR) n. 1414/1856. 21) „Gegenbemerkungen (zu Bachs Bemerkungen siehe Anm. 24) des Ministers für Kultus und Unterricht Graf Leo Thun zum Protokoll der Ministerkonferenz vom 5., 12., 16. und 19. Dezember 1854 und 13. Jänner 1855 die statutarische Verfassung der Wiener Universität betreffend“ von 1855 April 1, Beüage wie Anm. 9: wird publiziert in Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867 in/3 (wie Anm. 9); siehe auch Motivenbericht Thuns. 22) Lentze Universitätsreform insbesondere 236—250; dsbe Die romantisch-konservative Richtung der deutschen Rechtsgeschichte in Geschichtsfreund. Mitteilungen des historischen Vereines der fünf Orte 106 (1953) 5-37. 23) Motivenbericht Thuns (wie Anm. 9).