Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
Universitätsreform — Gesellsehaftsreform 135 behördlichen Neuorganisation der Universität wissen wir dagegen recht wenig. Außer der Tatsache, daß Unterrichtsminister Graf Leo Thun-Hohenstein, mit dessen Namen die Universitätsreform eng verknüpft ist, dem Typus der Ordinarienuniversität nach dem Humboldtschen Modell die Bahn ebnete, wurden die Reformprogramme bezüglich der Organisation der akademischen Behörden kaum verfolgt2). Das erscheint erstaunlich, da die Frage, welche äußere Verfassung eine Universität haben soll, wie weit und von wem sie abhängig ist und welche von den verschiedenen in ihren Interessen meist sehr divergierenden Gruppen, die an einer Universität vertreten sind, Mitsprache oder Entscheidung und Macht ausübt, von bedeutender gesellschaftspolitischer Relevanz ist. Tatsächlich gab es auch in der Periode von 1849 bis 1873, vom Zeitpunkt der Publikation des „Provisorischen Gesetzes über die Organisation der Akademischen Behörden“3) bis zur definitiven Regelung4), eine Reihe von Konzepten und Vorstellungen, sowohl von seiten der Entscheidungsgremien und Personen, die das Reich regierten - Kaiser, Minister, Reichsrat —, als auch von verschiedenen Gruppen der Universität selbst. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Gerade in einer Modemisierungsphase, wie sie die 50er Jahre waren, in der bewußt beabsichtigt wurde, die Weichen für spätere Zeiten zu stellen, mußten (selbstverständlich) alle Instanzen versuchen, eine so wichtige gesellschaftliche Institution wie die Universität in ihr Gesellschaftsprogramm einzubeziehen. Gerade darum dauerte es ein Vierteljahrhundert, bis es zu einer endgültigen Regelung kam. Wenn auch die Diskussion um die Verfassung der Universität Wien, um die es im folgenden geht, in der neoabsolutistischen Periode nicht zum Abschluß kam, so zeigt sie doch die gesellschaftspolitischen Versuche, „von oben“ den Wandel einer Gesellschaftsstruktur ideologisch zu programmieren. Doch über die Möglichkeiten, einen solchen Wandel herbeizuführen, herrschten in dieser Phase des Übergangs Irrtümer und Mißverständnisse, die letztlich anderes verursachten, als ursprünglich geplant war. II Parallel mit der Umwandlung des Reiches in den bürokratischen Verwaltungsstaat im 18. Jahrhundert begann auch die Umwandlung der alten Jesui2) Ansatzweise bei Lentze Universitätsreform 278ff, der das vorliegende Material kannte, aber nicht auswertete; Franz Gail Die Doktorenkollegien der vier Fakultäten an der Wiener Universität 1849-1873 in Student und Hochschule im 19. Jahrhundert. Studien und Materialien (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung 12, Forschungsunternehmen 19. Jahrhundert der Fritz Thyssen Stiftung, Göttingen 1975) 47—61 behandelt in erster Linie den Streit um die Universitätsverfassung in den 60er Jahren. 3) Reichsgesetzblatt n. 401/1849, gedruckt bei Meister Studienwesen 261-268. 4) Reichsgesetzblatt n. 63/1873.