Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

WEILING, Franz: Die philosophische Lehranstalt in Brünn (1808–1849) und die österreichische Bildungspolitik jener Zeit. Ihre Bedeutung für die Entdeckertätigkeit Johann Gregor Mendels

132 Franz Weiling gem Einfluß gewesen. Was die Situation außerhalb des Altbrünner Stiftes angeht, so stand das Stift, insbesondere durch Napp und seit etwa 1850 auch durch Mendel, in engem Kontakt zum geistigen und wissenschaftlichen Le­ben der damaligen Stadt. Dieser Kontakt beruhte insbesondere in der regen Mitarbeit in den verschiedenen fachwissenschaftlichen Vereinigungen: der „Ackerbaugesellschaft“ mit ihren verschiedenen Sektionen: der eigentlich landwirtschaftlichen, der forstlichen, der Obst-, Wein- und Gartenbau-, der Bienenzucht-, der naturwissenschaftlichen sowie der historisch-statistischen Sektion, dem seit 1816 bis 1828 bestehenden meteorologischen, dem seit 1815 bestehenden Schafzuchtverein, dem Werner-Verein für geologische und mi­neralogische Studien und schließlich den nach 1860 aus der „Ackerbaugesell­schaft“ hervorgegangenen selbständigen Vereinen, wie dem naturforschenden und dem Bienenzuchtverein. Die Wirksamkeit und zum Teil wohl auch die Existenz dieser Vereinigungen ist sicherlich ohne die segensreiche Tätigkeit der Philosophischen Lehranstalt nicht denkbar, da vermutlich ein nicht ge­ringer Anteil der maßgeblichen Mitglieder dieser Vereinigungen, soweit sie in Brünn selbst aufgewachsen sind, diese Lehranstalt besucht hat. Von ganz besonderer Bedeutung war für Mendel und seine Arbeit jedoch sein Umfeld im Stift selbst. Dadurch, daß die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Naturwissenschaften, der Mathematik, der Philosophie und der Theologie auf Grund eines staatlichen Auftrages seit etwa 1810 zu einer Hauptaufgabe des Stiftes neben der Tätigkeit in der Seelsorge geworden war, wobei etwa die Hälfte der Stiftsangehörigen durch diese Aufgabe ganz oder weitgehend in Anspruch genommen wurde, ferner dadurch, daß dieses Stift zudem in der Person seines Abtes Franz Cyrül Napp einen Vorgesetzten besaß, der diesen wissenschaftlichen Auftrag aus innerer Überzeugung ernst nahm und der zu­gleich als geschickter Organisator und Menschenkenner geeignete Mitglieder des Stiftes für diese Aufgaben interessierte und freistellte, hat Mendel so­wohl die technischen Voraussetzungen (Gelände, Gewächshäuser70), Freistel­lung von anderen Aufgaben) wie überdies das für die Durchführung zehnjäh­riger Versuche erforderliche Verständnis sowohl von seiten Napps wie von seiten seiner geistlichen Mitbrüder erfahren dürfen. Wenn schon die wissen­schaftliche Welt zu Lebzeiten Mendels und lange über seinen Tod hinaus Sinn und Bedeutung dieser Versuche nicht verstanden hat, wie hätte man sonst von seiner Klostergemeinschaft ein solches Verständnis ohne weiteres erwarten können71)! Wir gehen nach diesen Befunden mit der Annahme wohl nicht fehl, daß die kaiserlichen Entschließungen von 1802, 1807, 1811, 1813 und 1814 (der Ent­schluß zur sowie die Gründung von Philosophischen Lehranstalten, insbe­70) Siehe Vitezslav Orel The building of greenhouses in the monastery garden of old Brno at the time of Mendels experiments in Folia Mendeliana 10 (1975) 201-208. 71) Vgl. Franz Weiling Die österreichische Bildungspolitik der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und ihr Einfluß auf die Entdeckertätigkeit Johann Gregor Mendels in 16th Intern. Congr. History of Science. Bukarest/Romania 26. 8.-3. 9. 1981 (Polykopie).

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