Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
WEILING, Franz: Die philosophische Lehranstalt in Brünn (1808–1849) und die österreichische Bildungspolitik jener Zeit. Ihre Bedeutung für die Entdeckertätigkeit Johann Gregor Mendels
130 Franz Weiling Die Philosophische Lehranstalt von Brünn bestand bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Im Zuge der nach der Revolution von 1848 erfolgten Umgestaltung des österreichischen Schulwesens wurde sie mit Beginn des Schuljahres 1850 dem Staatlichen Gymnasium in Brünn als 7. und 8. Klasse angegliedert. V Um den allgemeinen Bildungsstand zu heben und den Zugang zur Theologie auf dem Lande zu erleichtern, wurden in den österreichischen Ländern zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts neben den bestehenden Universitäten und Lyzeen in einer Reihe geeignet erscheinender Städte Philosophische Lehranstalten gegründet und dem örtlichen Diözesanbischof unterstellt. Die Lehrkräfte mußten von den Ordensstiften der jeweiligen Diözese gestellt werden, wobei neben dem jeweils bestallten Professor eine geeignete Ersatzkraft bereitzuhalten war. Das Augustinerstift in Altbrünn, dem Johann Gregor Mendel von 1843 bis 1884 angehörte, hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts - neben dem Professor der alttestamentlichen Exegese und der altorientalischen Sprachen (Arabisch, Syrisch und Chaldäisch), desgleichen dem Professor der neutesta- mentlichen Exegese für die Theologische Lehranstalt66) — zwei weitere Professoren für die 1808 gegründete Philosophische Lehranstalt zu stellen: die Professoren für Theoretische und praktische Philosophie sowie für Reine Elementarmathematik. Die für diese Lehrämter präsentierten Kandidaten hatten eine, öffentlichen Konkursen zur Besetzung staatlicher Lehrstellen vergleichbare „konkursartige“ Prüfung zu bestehen. Diese bestand aus einer schriftlichen Klausur (Beantwortung von drei Fragen in bis zu zwölf Stunden Arbeitszeit, in bestimmten Fächern in lateinischer Sprache) und einem Vortrag vor allen Professoren der jeweiligen Fakultät, wobei alle Anwesenden ihr Urteil schriftlich abzugeben hatten. Neben der Beurteilung der schriftlichen Arbeiten durch die Fachprofessoren der Fakultät des jeweiligen Prüfungsortes (z. B. Olmütz oder Prag) ließ die Studien-Hofkommission, die höchste Unterrichtsbehörde des damaligen Kaiserreiches, alle Arbeiten zusätzlich durch die Fachprofessoren der Wiener Universität beurteilen. Diese Urteile waren anerkannt streng, und in der Regel gaben sie den Ausschlag bei der endgültigen Entscheidung der Studien-Hofkommission oder des Kaisers persönlich. Vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich hatte diese 66) Der Neutestamentler Philipp Nediele (auch Nedile oder Nedéle) (1778-1825) - biographische Angaben bei Czikann Schriftsteller llOf; Wurzbach BLÖ 20 (1869) 114f — winde 1821 wegen angeblich irriger Lehren aus dem Amte entfernt: StHK 372 ZI. 2785/1821 und ZI. 211/1822. Der Alttestamentler Cyrill Napp wurde 1824 zum Abt gewählt, vertrat seinen Lehrstuhl jedoch noch bis 1826 (Weiling Auseinandersetzung 22). Beide Lehrstühle wurden anschließend nicht wieder mit Mitgliedern des Altbrün- ner Stiftes besetzt.