Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

316 Jac Bosmans und von Herold abgefaßten Bericht bei Zimmerman ein116). Darin wurde dargelegt, daß die Eisenbahn vieles einsparen könne, wenn man aus dem Ganzen ein selbständiges Unternehmen auf kommerzieller Basis mache und eine interne Reorganisation durchführe. Auf lange Sicht könne dieses Unter­nehmen sogar rentabel werden, wenn nur der Kapitalaufwand beschränkt werde, wenn man intensiver arbeite, die Angestelltenschaft reduziere und die Tarife erhöhe. Faktisch geschah allerdings mit diesem Bericht recht wenig. Am 1. Oktober 1923 wurde die Bundesbahn von Seiten der Regierung zu ei­nem Unternehmen umgebildet, dessen Inhaber zwar der Staat blieb, das aber administrativ einen völlig autonomen Körper auf kommerzieller Basis bilde­te. Die ersten Schritte dazu hatte die Regierung bereits im März unternom­men, indem sie einen Ausschuß aufgestellt hatte, der die Reorganisation der Bundesbahn vorbereiten sollte. Der Grund dafür lag nicht so sehr in der Notwendigkeit (obwohl man diese erkannte), sondern vielmehr in der Dro­hung, die Umbildung des Unternehmens werde Von außen erzwungen wer­den, wenn die Regierung selbst nichts unternehme. Im Ministerrat warnte Kienböck am 9. März vor dieser Drohung: „Es wird uns . . . von dem auslän­dischen Sachverständigen diktiert werden und wir werden genötigt sein, sein Gutachten einfach durchzuführen; das können wir heute noch vermei­den“117). Die Sache eilte also. Bereits einen Monat später war der Gesetzesentwurf fertig. Die Regierung konnte Zimmerman nicht übergehen und mußte ihm den Entwurf unterbrei­ten, damit er Stellung nehmen könne; denn die Bundesbahn konnte auch im neuen Entwurf das Staatsbudget beeinflussen. Zimmermans Bemerkungen wurden jedoch von der Regierung kaum berücksichtigt118). Jetzt, da der Ge­neralkommissär Gelegenheit zur Kritik gehabt hatte und zumindest ein Teil seiner Wünsche erfüllt worden war, glaubte die Regierung, sie habe ihre Pflicht getan, und reichte am 16. Mai 1923 den Gesetzesentwurf beim Parla­ment ein. Die Angelegenheit vertrug ihrer Meinung nach keinen Aufschub mehr. „Ein Zaudern oder Schwanken würde in der Öffentlichkeit des In- und Auslandes gewiß ungünstig gedeutet werden“ 119). Zimmerman war ver­stimmt darüber, daß er nicht noch einmal Gelegenheit bekommen hatte, den geänderten Entwurf zu studieren. Es sei eine üble Sache, meinte er, daß ihn die Regierung seit seinem Kommentar zum ersten Entwurf überhaupt nicht mehr befragt habe. Was war geschehen? Am Morgen dieses 16. Mai hatte Kienböck Zimmerman den endgültigen Entwurf vorgelegt mit der Bitte, sofort Stellung zu nehmen, denn die Einreichung beim Parlament hänge von seinem Standpunkt ab. Zu seinem großen Erstatmen las Zimmerman aber in den Mittagszeitungen, daß 116) C54 11/11-1: Report on the reconstruction of the Austrian State Railways made to the Commissioner General of the League of Nations by Sir William M. Acworth, K. C. S. I., 1923 August 9. 117) AVA MRP n. 2 65, 1923 März 9. 11S) AVA MRP n. 278, 1923 Mai 14; C54 11/11: Note von Patzauer, 1923 Mai 16. 119) C54 11/11: Zimmerman an Seipel, 1923 Mai 16.

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