Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
312 Jac Bosnians samkeit Gerüchten zu, denen zufolge Brauneis und Reisch in Konflikt geraten waren und der Generaldirektor zurücktreten wollte. In London bezeich- nete man deshalb die Zusammenarbeit mit einer Bankführung, in der es keinen Zusammenhalt gab, für unerwünscht98). Was war in Wirklichkeit geschehen? Brauneis hatte in der Tat um seine Entlassung gebeten; eine bestimmte Gruppe — Van Gyn benutzte das Wort „Sippschaft“, womit er das Finanzministerium meinte — verbreitete das Gerücht, er intrigiere gegen Reisch, indem er „auf mysteriösen dunklen Wegen“ dem Generalkommissär Staatsgeheimnisse verrate und bereit sei, sich seiner Laufbahn wegen dem Willen Zimmermans und Londons zu beugen99). Hatten diese Verleumdungen den Zweck, die Stellung Reischs zu stützen, - im Hinblick darauf, daß seine Position schwach und Brauneis bereits als möglicher Nachfolger genannt worden war? Brauneis nahm jedoch das Rücktrittsgesuch zurück, nachdem ihm Reisch sein volles Vertrauen ausgesprochen hatte und auf bestimmte Wunsche bezüglich der Bankführung eingegangen war 10°). Wenn man die Diskussionen zwischen London und Wien der Jahre 1924 und 1925 betrachtet, muß man feststellen, daß ihre Ergebnisse doch sehr mager gewesen sind. Reisch versuchte das Amt nach eigenem Gutdünken zu verwalten und dem Druck Londons möglichst aus dem Wege zu gehen. Dies gelang jedoch nur zum Teil, weil Österreich beim Erwerb ausländischer Anleihen - auch noch nach dem Erfolg der Völkerbundanleihe - zu sehr von England abhängig war und die Bankführung somit der vorherrschenden Stimmung, die auch noch von Zimmerman geteilt wurde, Rechnung tragen sollte. Als wichtiger Geldgeber Österreichs befand sich der Gouverneur der Bank von England in einer günstigeren Position. Er versuchte, den österreichischen Bankpräsidenten im Hinblick auf die von ihm so sehr herbeigesehnte Kooperation zwischen den Zentralbanken an sich zu binden; daß andere sich dabei nach der Bank von England zu richten hatten, war für Norman selbstverständlich. Charaktere wie Reisch aber wurden durch Normans fortwährende Demonstrierung seiner Überlegenheit viel mehr abgestoßen als angezogen. In dieser Situation war das Rücktrittsgesuch Van Gyns zu Ende des Jahres 1925 Norman höchst willkommen. Sein Amt konnte jetzt von einem Engländer übernommen werden, mit dessen Hilfe man die Nationalbank besser am Gängelband zu halten hoffte101). Mit Zustimmung Normans schlug Niemeyer bei Zimmerman Robert Charles Kay, zur Zeit Manager und Liquidator bei der Nationalbank der Türkei, vor. Dieser hatte früher bei Norman - vor dessen Tätigkeit in der Bank von England - gearbeitet102). Zimmerman hatte 98) HHStA NPA 41: Gesandtschaftsbericht aus London, 1925 Juli 2. ") Die Börse 1925 März 5. 10°) C9 5/2c: 25. Bericht des Bankberaters an den Generalkommissär, 1925 Juli 18; Van Gyn an Zimmerman, 1925 Juli 14. 101) Die Börse 1925 Oktober 8. 102) S108 2/6/2: Niemeyer an Zimmerman, 1925 Oktober 28.