Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 307 nicht positiv auf die Wünsche der Nationalbank zu reagieren: Er wollte da­mit Norman aufs neue zeigen, daß er sich den Wünschen Londons füge. Die englische Bankwelt rechnete es also der Leitung der Nationalbank als einen schweren Fehler an, daß sie den Diskontsatz nicht erhöht hatte, und warf ihr vor, in dieser Weise der Spekulation Vorschub geleistet zu haben. Man fürchtete, daß die Intervention der Nationalbank und des Generalkom­missärs in der Börsenkrise den Geldstrom vergrößern und dadurch aufs neue Inflation und somit auch eine weitere Preiserhöhung auslösen würde. In London drängte man deshalb sehr nachdrücklich auf eine baldige Erhöhung des Diskontsatzes, in der sicheren Erwartung, daß diese Maßnahme den Geldumlauf eindämmen und das Preisniveau günstig beeinflussen würde. Diese Erwartung wäre zwar in der englischen Situation gerechtfertigt gewe­sen, in Österreich hingegen verfügte die Nationalbank den Handelsbanken gegenüber kaum über Kontrollmöglichkeiten76), und die Währungsautoritä- ten betrachteten Bankzinsen als Kostenelement; eine Erhöhung des Diskont­satzes mußte, vor allem weil die Unternehmer im allgemeinen von Bankkre­diten abhängig waren, in die Preise einberechnet werden und somit eine Preiserhöhung zur Folge haben77). Diese unterschiedlichen Ausgangspunkte verursachten eine Anzahl scharfer Konflikte zwischen dem Präsidenten der Nationalbank und dem Gouverneur der Bank von England; dabei schloß sich Zimmerman immer mehr der englischen Ansicht an. Der österreichische Gesandte in London legte seiner Regierung wiederholt nahe, Reisch wegen allzu großer Eigenwüligkeit zu verwarnen; um dieser nachzugeben, sei der Einfluß Normans in der City von London und anderswo zu groß. Am besten sei es, wenn eine enge Beziehung zwischen dem Präsi­denten und dem Gouverneur zustande komme, so wie Präsidenten anderer Zentralbanken sie mit London unterhielten. „Bedenkt man den dominieren­den Einfluß Normans“, so schrieb Franckenstein, „gegen dessen Willen oder Rat größere Anleihen für Österreich . . . [nicht] aufgenommen werden kön­nen, so müssen wir unter Zurücksetzung jeder persönlichen Empfindlichkeit so weit wie nur möglich mit ihm enge Fühlung halten und seinen Ansichten Rechnung tragen“; und mit Pathos, das Franckensteins Bewunderung für den Gouverneur erkennen läßt: „Es ist gewiß möglich, daß wir an theoretischen Kenntnissen im Großen und Ganzen den Engländern überlegen sind; es ist sicher, daß die englische Einmischung bei uns unangenehm empfunden wer­den muß; es ist wahrscheinlich, daß die britischen Wünsche und Anregungen nicht in ihrem ganzen Umfange oder in der vorgeschlagenen Weise in unse­ren besonderen Verhältnissen zur Durchführung gebracht werden können. Die alles überragende Frage ist jedoch: Benötigen wir die britische Sympa­thie, das angelsächsische Kapital, das Vertrauen der Welt und die Hilfsbe­reitschaft des mächtigen Finanzmannes, unseres bewährten großen Freundes 76) Franz Baltzarek Die Geschichte der Wiener Börse (Wien 1973) 128. 77) Stephan Zeissl Die Politik der österreichischen Nationalbank im Rahmen der Sanierung der österreichischen Wirtschaft (Hamburg-Wien—Kiel 1928) 72 f und 83-86. 20*

Next

/
Thumbnails
Contents