Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
WANNER, Gerhard: Die Spitzbergenfrage zwischen 1908 und 1912 und die k. u. k. Gesandtschaft in Stockholm
278 Gerhard Wanner schied sich Ende April für Oslo, stellte jedoch vorerst die Bedingung, daß dort nicht etwa das Programm einer zukünftigen internationalen Konferenz behandelt werde, sondern die Angelegenheiten Spitzbergens endgültig zu regeln seien. Weiters verlangte Schweden außer den drei zu entsendenden Delegierten noch eine schwedische Sachverständigenkommission23). Als Norwegen schließlich zustimmte, war dies für Schweden nur ein kurzfristiger Sieg, denn bereits Anfang Mai trat Rußland mit Forderungen auf, die bewiesen, daß es die Initiative übernommen hatte: Es wünschte ebenfalls eine Sachverständigenkommission und konnte auch durchsetzen, daß nach den Dreiergesprächen eine internationale Konferenz das Ergebnis gutheißen sollte. Schon damals machte man sich Gedanken über den russischen Kurswechsel zu Gunsten Norwegens. Der norwegische Gesandte Vogt, von Legationssekretär Kiss befragt, meinte dazu, Rußland strebe auch mit Norwegen freundschaftliche Beziehungen an und erkenne, daß eine abschließende internationale Konferenz auch die USA beruhige. Diese würden es wegen ihrer großen finanziellen Interessen auf Spitzbergen nicht zulassen, daß man sie völlig ausschalte. Rußland scheint wirklich für beide Nachbarstaaten befriedigende Lösungen angestrebt zu haben. Denn um Schweden wiederum nicht allzusehr zu verärgern, stimmte es den Verhandlungen in Oslo auf der Grundlage des Entwurfes von Taube zu24). Mitte Mai traf Kiss mit dem „sehr verdrießlichen“ Taube zusammen und führte mit ihm ein ausführliches Spitzbergen-Gespräch. Im Mittelpunkt standen die Motive Schwedens für das Einlenken und die Ursachen Rußlands für den Kurswechsel. Taube sprach zum ersten Punkt, was der Legationssekretär natürlich durchschaute, nicht die Wahrheit: Schweden habe „nachgegeben, damit man endlich vom Flecke komme“. Bezüglich der Spitzbergen- Konferenz glaubte Taube, sie werde im August zusammentreten, um „das Resultat lediglich ad notam zu nehmen, doch sei eine Debatte nicht ausgeschlossen“. Über die Hintergründe des russischen Verhaltens war sich Taube „auch nicht ganz klar“. Doch habe er sich über diese Politik, welche er „inkonsequent und imverläßlich“ nannte, schon lange zu wundern aufgehört. Der russische Geschäftsträger in Stockholm, Baron Stael, habe die Sache so erklärt, daß während der Abwesenheit des russischen Außenministers Alexander Iswol- skij „ein anderer Beamter des Petersburger Kabinetts die Spitzbergenfrage dirigiert habe“. „Unter der Hand“ erfuhr Kiss jedoch von Taube, alles sei letztlich auf die Initiative des Zaren Nikolai zurückzuführen, an den sich der 23) Anton Kiss an Aehrenthal, vertraulicher Bericht 12, 1910 Aprü 27 Stockholm: ebenda. 24) Anton Kiss an Aehrenthal, vertraulicher Bericht 14, 1910 Mai 6 Stockholm: ebenda.