Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

218 Jakub Forst-Battaglia Völker im Osten“ werden können, wenn nicht spezifisch ungarische Interes­sen“, der Widerwille der Magyaren gegen das Slawentum, dazwischenge­kommen wären. Nun folge Andrássy den Einflüsterungen der moskaufreund­lichen Gruppe um Erzherzog Albrecht, die dank einer vom Zarenreich gebil­ligten Okkupation Bosniens durch Österreich-Ungarn den Einfluß der Sla­wen in der Monarchie stärken wolle. Wäre derlei slawisches Übergewicht .durch ein Zusammengehen mit Rußland erkauft“, brächte es nur diesem Vor­teile, dem Habsburgerreich aber schweren Schaden8). So kann es nicht Wunder nehmen, wenn Stanislaw Tarnowskis Leistungsbe­richt über die zehnjährige Tätigkeit des Przeglgd Polski (Juli 1876)9) die Zu­kunftsaussichten der polnischen Politik in Österreich skeptisch, ja eher pes­simistisch beurteilte: Die wichtigsten Wünsche der Polen Galiziens haben sich nicht erfüllt ,in einer Welt, die völlig der Gnade Preußens und Rußlands ausgeliefert ist“10), vielmehr wurden die Befugnisse des Landtags eingeengt, der polnisch-ruthenische Gegensatz hat sich verschärft — allerdings, weil man östlich des San den klugen Ratschlägen der Krakauer kein Gehör hatte schenken wollen —, wirtschaftliche und soziale Probleme blieben imgelöst. Trotzdem und obzwar es schlecht regiert wird, ist Österreich mehr denn je der einzige Staat, der den Polen .gewisse Rechte und die Freiheit nationalen Daseins“ gewährleistet11). Diesen Staat gelte es, vom falschen Weg abzubrin­gen, gerade jetzt, wo jeder seiner Schritte in der Balkanfrage wohlüberlegt sein müsse. Da die Tage des Osmanischen Reiches, zumindest in den gegen­wärtigen Grenzen, gezählt sind, wäre es sowohl vom österreichischen als vom national-polnischen Standpunkt aus sinnlos, ihm tätig beizustehen. Da man wisse, wer Südosteuropas .Slawen drängt und anführt“, dürften die Polen diese nicht unterstützen, ihnen jedoch ebensowenig wegen .darauf folgender Mißverständnisse“ zwischen Polen ,und allen Slawen der Monarchie“ scha­den12). Österreich-Ungarns Außenpolitik, die unter dem Einfluß der alten Militär- und Hofkreise .vorbehaltslose Verständigung mit Rußland“ anstrebt, verwechselt die heutige Zeit mit der ,des Kaisers Nikolaus und des Fürsten Metternich“13). Wenn Wien den Russen dabei hilft, ihre aggressiven Balkan­pläne zu verwirklichen, wird es bald die Folgen am eigenen Leib verspüren. Nicht die Verständigungstaktik des Treffens von Reichstadt, sondern die Iso­lierung Rußlands bietet den richtigen Ausweg. Die Polen wiederum dürften die berechtigte Hoffnung hegen, daß ein außenpolitisch abgekapseltes Pe­tersburg den nationalen Druck gegen Nichtrussen lockern würde, da es nach inneren Verbündeten suchen müßte. Jeder .unvorsichtige Schritt“ der Polen, 8) Czas n. 173, 1876 August 1. 9) Stanislaw Tarnowski Obrachunek Przeglgdu Polskiego [Eine Abrechnung der Polnischen Rundschau] in Studya Polityczne [Politische Studien] 1 (Krakow 1895) 81-201. 10) Ebenda 84—85. “) Ebenda 193. 12) Ebenda 182-183. 13) Ebenda 189.

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