Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

Orientfrage und Konservative Galiziens 217 nung an Petersburg, die Befestigung Krakaus und der Sanlinie von Przemysl bis Jaroslaw. Dem Antrag, der auf der Annahme fußte, die Aufstände in Südosteuropa gingen auf die Tätigkeit panslawistischer Emissäre zurück, versagte die Mehrheit des Gremiums ihre Zustimmung2). Mehr noch: Anfang Juli 1876 trafen Franz Joseph und Andrássy mit Alexan­der und Gorcakov im böhmischen Reichstadt (Zäkupy) zusammen, einigten sich auf vorläufige Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Osmani- schen Reiches und der Balkanslawen, teilten aber zugleich Südosteuropa in künftige Interessensphären3). In einem redaktionellen Artikel des Krakauer Przeglgd Polski hieß es dazu, Reichstadt sei gar kein Rückschlag für die russischen Großmachtbestrebun­gen gewesen. Petersburg bekomme, falls die Truppen des Sultans den süd­slawischen Aufstand niederschlügen, eine viel günstigere Gelegenheit, die Unglücklichen im nachhinein weiter aufzuputschen, um später doch noch eingreifen zu können4). Wie Ludwik Powidaj hervorhob, wäre Serbien als Staat ,zur Unterstützung der slawischen Sache“ unfähig, sollte die Türkei, angefeuert von Österreich, das Fürstentum ,durch die Höhe der Kriegsent­schädigungen auf Jahre hinaus brechen“. Anstatt zu vermitteln, müßte Öster­reich-Ungarn teilnahmslos bleiben, da die Balkanslawen ,zu stolz“ seien, um von Wien ,Geschenke“ anzunehmen5). Die Konservativen wollten weder die von den Deutschliberalen geforderte .strikte“ Neutralität und .unbedingte“ Wahrung des Friedens, noch das von russophilen Hofkreisen, tschechischen und südslawischen Föderalisten gewünschte wohlwollende Verhalten der Monarchie zum Zarenreich6). Sie hielten nicht viel von einer neuen Ordnung in Südosteuropa unter der gemeinsamen Ägide Österreich-Ungarns und Ruß­lands. Vielmehr sollte Österreich eine .jederzeit schlagkräftige“ Neutralität bewahren, um sich vor bösen Überraschungen von russischer Seite zu schüt­zen7). Die Unzufriedenheit der Krakauer Konservativenpartei mit der nachgiebigen Haltung Andrässys trat in einem Leitartikel des Czas vom August 1876 be­sonders deutlich hervor. Demnach hätte die Donaumonarchie bereits 1875, den Plänen des Statthalters von Dalmatien General Rodich folgend, .durch bewaffnete Unterstützung der Insurgenten zur Beschützerin der slawischen 2) Stenographische Sitzungsprotokolle der Delegation des Reichsrats 8. Session 6. Sitzung, 1875 Oktober 12, 133-135. 3) Über Reichstadt und die Folgen siehe Eduard von Wertheimer Graf Julius Andrássy. Sein Leben und seine Zeit 2 (Stuttgart 1910—1913) 296-330 und Were- szycki Walka 226-299. 4) Przegl&d Polski [Polnische Rundschau] (1876) 288—296. 5) Ebenda 468^72. 6) Über die Einstellung der nationalen und politischen Lager in Österreich-Ungarn zur Balkankrise aus polnischer Sicht Stanislaw Kozmian Monarchia Habsburgów i wojna wschodnia [Die Habsburgermonarchie und der Orientkrieg] in Pisma Polityczne [Politische Schriften] (Krakow 1903) 625-639. Czas [Die Zeit] n. 196, 1876 August 29.

Next

/
Thumbnails
Contents