Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

234 Hanns Haas ungarischen Kornanbaugebiete der Verfügungsgewalt der Budapester Regie­rung entzog, sah sich Ungarn schließlich Anfang Jänner 1919 gezwungen, weitere Lebensmittelzusendungen über die im Kompensationsabkommen von November 1918 gemachten Zusagen hinaus vorerst zu verweigern5). Gleich­zeitig aber offerierte Ungarn in der Schweiz Lebensmittel im Austausch ge­gen Textilien6). Die Abkommen mit der „südslawischen Nationalregierung SHS in Laibach“ vom 7. November und vom 12. Dezember wiederum dienten hauptsächlich der Erleichterung des Verkehrs; was den Austausch von Sach­gütern und Lebensmitteln betrifft, so zeigt eine am 13. Dezember in Graz abgefaßte Zusammenstellung entsprechender mündlicher Verhandlungen, daß Österreich allenfalls mit der Zusendung von Speisefisolen, 500 Stück Schlachtvieh und der restlichen 25 Waggon Mehl aus einer früheren Zusage von 50 Waggon Mehl rechnen konnte7). Die Durchführung stieß aber auf er­hebliche Schwierigkeiten, die nicht zuletzt auf der „bedauerlichen Kurzsich­tigkeit“ Kärntner Ernährungsstellen beruhten, die, wie Staatssekretär Lö- wenfeld-Ruß am 13. Jänner 1919 in einem Brief an den Kärntner Landes­hauptmann Klage führte, tschechische Zuckersendungen an Jugoslawien be­schlagnahmten, in der Meinung, daß eine Verkehrsabmachung zwischen Deutschösterreich und Jugoslawien nicht bestehe8). Grenzkonflikte trugen jedenfalls zur Verschärfung der österreichischen Le­bensmittelnot bei. So dienten die tschechoslowakischen Absperrmaßnahmen dazu, eine Entscheidung der „Sudetenfrage“ im tschechoslowakischen Sinne zu erzwingen9). Ihren Höhepunkt erreichte die tschechoslowakische Blocka­depolitik vor allem auf dem Sektor der Kohlenversorgung Anfang Dezember 1918, und es läßt sich nachweisen, daß die tschechoslowakische Regierung erst zum Zeitpunkt der militärischen Besetzung Deutschböhmens bzw. erst nach dem öffentlichen Zugeständnis der österreichischen Regierung, die un­mittelbare Gebietsgewalt über ihre Nordprovinzen aufzugeben, am 11. De­zember bereit war, einen Vertrag über die Belieferung Österreichs mit Kohle abzuschließen10). 5) Cnobloch, österreichischer Gesandter in Budapest, an Staatssekretär Bauer, 1919 Jänner 5: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (= HHStA) Neues Politisches Archiv (= NPA) Präs. 15 (Konvolut Ungarn Varia) ZI. 389/1919, fol. 4—5. 6) Bericht des amerikanischen Beauftragten für die interalliierten Verhandlungen in Bern (Ende Dezember 1918) Alonzo Taylor an den United States Food Administra­tor Herbert Hoover in Paris, 1918 Dezember 26: Organization of American Relief in Europe 1918—1919. Documents selected and edited by Suda Lorena Bane and Ralph Haswell Lutz (Stanford - London 1943) 119. 7) AVA Staatsamt des Inneren (22 Steiermark) ZI. 4853/1918. — Siehe dazu Paul Mechtler Die Verflechtung der österreichischen Eisenbahnen am Anfang der Ersten Republik. Die Trennung des altösterreichischen Eisenbahnwesens nach dem Zusam­menbruch der Monarchie in MÖStA 17/18 (1965) 399-426. 8) AVA Staatskanzlei ZI. 358/1919. 9) Hanns Haas Die deutschböhmische Frage 1918-1919 und das österreichisch­tschechoslowakische Verhältnis, Teil 1 in Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum 13 (1972) 360-365. 10) Ebenda.

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