Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

Orientfrage und Konservative Galiziens 225 sehen Delegation, von Grocholski am 22. März zugesagt, bezeichnete Czas als selbstverständliche patriotische Pflicht40). Allgemein erwartete man in Öster­reich-Ungarn eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Rußland. Graf And- rässy, der sich in der Öffentlichkeit nur unklar über seine Absichten äußerte, warf Czas vor, zwar viel von .auswärtiger Gefahr1 zu sprechen, aber nichts Konkretes zu unternehmen41). Die Konservativen Galiziens fanden indes, daß die Monarchie Rußland nur angreifen sollte, falls sie die Operationen nicht auf den Balkan beschränke, sondern auch auf Polen ausdehne. Der empfind­liche Nerv des Zarenreiches liege an der Weichsel, nur dort könne die russi­sche Aggressivität endgültig gebändigt werden. Einem rein balkanischen Feldzug, fiele er auch für Österreich günstig aus, müßte ein .fauler Friede1 folgen, den Petersburg bei der ersten sich bietenden Gelegenheit brechen würde. Andererseits mißtrauten die galizischen Politiker Bismarck und be­fürchteten, daß Preußen die Habsburgermonarchie im entsprechenden Au­genblick tückisch überfallen könnte42). So lief die Taktik der Konservativen darauf hinaus, der aufgeputschten Stimmung in Galizien durch energische Stellungnahmen zur internationalen Lage den Wind aus den Segeln zu neh­men; man hoffte, Rußland würde letztlich dem Druck des Auslands weichen und auf die Durchsetzung des Diktatfriedens mit der Türkei verzichten43). 40) Czas n. 58, 1878 März 3. 41) Czas n. 71, 1878 März 27. Es sei die .Partie verloren1, wenn Österreich-Ungarn nicht sofort eine .große Aktion1 gegen Rußland starte: Czas n. 72, 1878 März 28). .Kon­zessionen Österreichs an Rußland wären eine verhängnisvolle Falle1: Czas n. 74, 1878 März 30. 42) Die Führungskräfte der konservativen Partei dachten daran, Österreich-Ungarn auf die strategischen und politischen Vorteüe eines polnischen Kriegsschauplatzes hin­zuweisen, aber nicht bevor der Bruch mit Petersburg offen zu Tage läge, so B PAN Krakow: 2042 Listy róznych osób do róznych z rqkopisów po Kozmianach z lat 1794-1897: Leon Chrzanowski an Stanislaw Kozmian und Aleksander Szukiewicz, 1878 März 25 Wien. 43) Kämpferische Artikel sollten dieser Einschüchterungskampagne gegen Rußland dienen: Czas n. 76, 1878 April 2; n. 83, 1878 April 4; n. 85, 1878 April 12; n. 87, 1878 April 14; n. 88, 1878 April 16; n. 90, 1878 April 18. Das konservative Tagblatt warnte darin Europa wiederholt davor, sich vom Zarenreich ,an der Nase herumführen zu las­sen1, und gab unverhohlen der Hoffnung auf eine militärische Intervention Großbri­tanniens Ausdruck. Der Statthalter von Galizien hingegen war für unbedingten Frie­den: „La Russie sent le péril qui la menaee, et sagement cherche un joint; ü s’agit de l’aider pour le trouver, voilä le true - voudra-t’on l’aider! Tous les enthousiasmes pa- triotiques en Russie ne seraient qu’un danger de plus - vis-ä-vis d’une seconde guerre, qu’il me páráit est au-dessus de ses forces: aussi sagesse est temporiser“: APKr. Wa­wel Pot D 273: Alfred Potocki an Katarzyna Adamowa Potocka, 1878 Aprü 6 Lem­berg. Der Historiker und Resurrektionistenpater Walerian Kalinka wiederum schwankte: ,Was hört man vom Krieg? Jetzt habe ich schon weniger Angst. Aber es gab einen Augenblick, da sah ich die Zukunft äußerst schwarz, damals als ein Krieg zwischen Österreich und Rußland in der Luft hing. Jedoch ist auch der Friede schlecht, weil er zur Zersetzung Österreichs von Osten und Süden beiträgt. Inzwischen können Dinge eintreten, die der Monarchie einen späteren Krieg erleichtern würden. Ich denke, daß auf der einen Seite Preußen im Westen beschäftigt sein wird, was Mitteilungen, Band 32 15

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