Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

Orientfrage und Konservative Galiziens 223 Opfer gefordert hätten, satt. Das einzige rechtmäßige Gremium zur Vertre­tung polnischer Belange sei der galizische Landtag, die einzig richtige Politik bestehe darin, ,nicht über die polnische Frage zu sprechen, sondern nur über die orientalische Frage vom polnischen Standpunkt, jedoch stets auch vom österreichischen her“; es hieße, ,alle Kräfte und Einflüsse darauf zu verwen­den, Österreich von der Okkupation [Bosniens] abzuraten und in der heuti­gen weisen Neutralität zu erhalten*30). Geduld und Mut zur Selbstüberwin­dung sollten das Verhalten der Polen kennzeichnen. Durch Demonstrationen würden die Polen ihre privilegierte Stellung in Österreich leichtfertig aufs Spiel setzen. Als Mitglied des Dreibunds könnte die Monarchie sich gezwun­gen sehen, in Galizien ein strenges Regiment einzuführen, wenn Petersburg oder Berlin dies verlangten. Auch der Kontakt zu polnischen Untertanen des Zaren bestärkte die konser­vativen Galizier in der Meinung, daß Rußland einer Auseinandersetzung mit Österreich-Ungarn ausweichen wolle und daß gute Aussichten zu einer tief­greifenden polnisch-russischen Entspannung bestünden. Mitte Juni 1877 tra­fen sich in Krakau die Czas-Redakteure Stanislaw Kozmian und Aleksander Szukiewicz zu einem Gedankenaustausch mit dem Petersburger Publizisten polnischer Nationalität Wlodzimierz Spasowicz. Der den Konservativen na­hestehende galizische Literat Lucjan Siemienski besprach eingehend mit ho­hen Persönlichkeiten der Warschauer Gesellschaft die politische Lage: Man gab sich gerne Hoffnungen hin31). Der Spätherbst 1877 brachte eine neuerliche Wendung der Dinge. Als die Russen nach dem Fall von Plewna immer tiefer in Bulgarien eindrangen, be­gann die Position der Konservativen stark zu wanken. Ihre nationalradikalen Gegner fanden von Tag zu Tag mehr das Gehör der Öffentlichkeit. Sie ver­langten, daß Österreich-Ungarn dem Expansionsstreben Rußlands energisch Einhalt geböte32). So entschloß sich der um das Ansehen seiner Partei be­sorgte Obmann des Polenklubs, der Ostgalizier Kazimierz Grocholski, zu ei­ner Rede vor der österreichischen Delegation (12. Dezember 1877), in deren Verlauf er den Panslawismus angriff und die Monarchie indirekt einlud, die polnische Frage mit Kampfstellung gegen Rußland aufzugreifen33). Der Sieg der Russen, die nach dem Waffenstillstand von Adrianopel (Edirne, 31. Januar 1878) in Richtung Konstantinopel weitermarschierten, ohne ihre 30) Tarnowski Wojna 233—234. Scharfe Kritik an den Aktivisten übte Czas n. 200, 1877 September 5; n. 224, 1877 Oktober 3; n. 246, 1877 Oktober 27; n. 254, 1877 No­vembers; n. 257, 1877 November 11; n. 261, 1877 November 16; n. 268, 1877 Novem­ber 25. 31) BZNO 6531/11: Stanislaw Kozmian an Aleksander Szukiewicz, 1877 Juni 19 Krakau. 32) Szujski List 109-113. 33) Grocholski, Vorsitzender des Polenklubs, sprach am 12. Dezember 1877 vor der österreichischen Delegation Rußland energisch das Recht ab, Serben und Bulgaren zu schützen. Österreich dürfe nicht die Existenz .russischer Lehen* auf dem Balkan dul­den: Czas n. 284, 1877 Dezember 14; Stenographische Protokolle der Delegation des Reichsrats 10. Session 2. Sitzung, 1877 Dezember 12: 9-11.

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