Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

242 Joachim Lilla deutscherseits lange Zeit für den Fall eines Separatfriedens mit Rußland in Betracht gezogen worden war. Zudem ist die deutsche Bereitschaft zu erkennen, in der Lösung der polnischen Frage eng mit der österreichisch­ungarischen Regierung zusammenzuarbeiten — unter Wahrung der deut­schen Interessen. In der Folgezeit zeigt Bethmann Hollweg erneut Bereitschaft, mit Burián zur Erörterung des polnischen Problems zusammenzutreffen. Am 10. April 1916 teilt er Tschirschky mit61), aus politischen Gründen sei eine „Thei- lung zwischen uns und Österreich unter prinzipieller Zugrundelegung der Okkupation“62) oder ein autonomes Kongreß-Polen „bei weitem“ einer Angliederung Polens an Österreich vorzuziehen. Um die bei diesen Vor­schlägen bestimmt vorhandenen Wiener Widerstände abzuschwächen, könnte man „den Schmerz dadurch mildern, daß man einen Erzherzog zum Fürsten des künftigen autonomen Staates vorschlüge. In Frage käme Erzherzog Karl Stephan.“ Diesen Vorschlägen Bethmann Hollwegs pflich­tete Falkenhayn ebenfalls bei: Die Lösung eines Großherzogtums War­schau sei „bei allen Bedenken doch zunächst — und auf diesen Einschub legte er [Falkenhayn] Wert — die am meisten anzustrebende“ 63). Auf die von Burián zu erwartenden Widerstände macht Tschirschky auf­merksam64): In Österreich-Ungarn halte man nach wie vor an der An­gliederung ganz Kongreß-Polens fest, es sei unwahrscheinlich, daß Bu­rián bei der bevorstehenden Unterredung seine Auffassung ändern werde. Es komme darauf an, durch Darlegung „der gesamten politischen Lage an der Hand der für uns maßgebenden Argumente (besonders Machtzuwachs am Balkan, wo Österreichs Schwergewicht liegt) die Leute hier langsam mit unserer Lösung zu befreunden“. Der Standpunkt der Wiener Regierung wird noch einmal in aller Deutlichkeit in einer Note 65) dargelegt, die am 12. April 1916 im Auswärtigen Amt übergeben wurde. Unter Berufung auf die Zustimmung Bethmann Hollwegs wird der An­schluß Polens an Österreich-Ungarn als die im Interesse beider Reiche günstigste Lösung bezeichnet. Im Verlauf der Verhandlungen zwischen Bethmann Hollweg und Burián am 13./14. April 1916 zeigt sich, daß eine Annäherung der Standpunkte kaum noch möglich scheint66). Bethmann Hollweg stellt kurzerhand fest, auf die vorgesehene Lösung eines autonomen polnischen Staates ohne «i) Bethmann Hollweg an Treutier, 1916 April 10: ebenda. •2) „Das so entstehende autonome ,Großherzogtum Warschau“ ... wäre po­litisch, militärisch und wirtschaftlich so eng mit uns zu verbinden, daß wir es fest in der Hand hätten“: ebenda. 63) Treutier an Bethmann Hollweg, 1916 April 12: ebenda. 63) Tschirschky an Jagow, 1916 April 12 : ebenda. 65) Note des k.u.k. Ministerium des Äußern, 1916 April, am 12. April von Legationsrat Graf Larisch überreicht: ebenda. 66) Jagow an Treutier, 1916 April 16: ebenda; enthält Zusammenfassung der Ergebnisse der Gespräche mit Burián am 13./14. April 1916.

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