Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

156 Gerhard Rill Die durch die Kallimachi-Aktion ausgelösten Ermittlungen konzentrierten sich auf den Raum von Livno, den Schauplatz des größten Teiles der Un­stimmigkeiten. Im Grunde handelte es sich um eine Auswahl von Fällen, die sich in ähnlicher Form auch am Generalkonsulat Sarajevo, bei den übrigen bosnischen und herzegowinischen Konsularämtern und schließ­lich im gesamten levantinischen Bereich, in dem die auf den Kapitula­tionen beruhende Gerichtsbarkeit der Konsulate in Geltung stand, zuge­tragen hatten. Die als Kapitulationen bezeichneten Verträge der Türkei mit europäischen Mächten und die darin enthaltenen Artikel betreffend die Gerichtsbar­keit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen bildeten schon oft den Gegenstand eingehender und umfassender Untersuchungen, auf die hier summarisch verwiesen werden kann 5). Um die Mitte des 19. Jahr­hunderts stand das durch die Kapitulationen bedingte Rechtsverhältnis zwischen westlicher und nahöstlicher Welt bereits am Ende einer in die Zeit der Kreuzzüge zurückreichenden Entwicklung und war im Hinblick auf die ursprünglichen personenstaatlichen Grundlagen längst zum Ana­chronismus geworden. Einen Angelpunkt bilden die 1535 mit Frankreich geschlossenen Kapitulationen, die auch für die anderen westlichen Län­der ein — oft wörtlich übernommenes — Vorbild darstellten. Allerdings wurde der Sinn dieser Verträge im 19. Jahrhundert fast ausschließlich darin gesehen, daß die türkisch-mohammedanische Gerichtsbarkeit einen dem Europäer unzumutbaren Rechtsschutz darstelle. Diese Einstellung läßt sich auch in den österreichisch-türkischen „Traktaten“ deutlich er­kennen 6). Grundlage für den strafgerichtlichen Bereich bildete der Ar­tikel 5 des Passarowitzer Handelsvertrages vom 27. Juli 1718; der be­treffende Passus, auf den sich die österreichischen Beamten, teils mit Überzeugung, teils mit Skepsis, immer wieder beriefen, lautet: „Les gouverneurs et autres employes de la Porte Ottomane ... ne pourront emprisonner ni maltraiter aucun des sujets de S. M. sous prétexte de quelque action intentée contre eux. Lorsqu’il faudra les faire comparaitre par-devant 5) Aus der umfangreichen Literatur scheinen am wichtigsten: Francesco Contuzzi La istituzione dei consolati ed il diritto internazionale europeo nella sua applicabilitä in Oriente (Napoli 1885); G. Pellissié du Rausas Le Régime des Capitulations dans l’Empire Ottoman 1—2 (Paris 1910—1911); Nasim Sousa The Capitulary Régime of Turkey (Baltimore 1933). 6) Für Österreich vor allem Joseph P i s k u r Oesterreichs Consularwesen (Wien 1862) 95—152; Joseph v. Malfatti Handbuch des österreichisch-unga­rischen Consularwesens 1 (Wien 1879) 129—148; 2 (Wien 1883) 4 f. Von den zahlreichen ungedruckten amtlichen Denkschriften etc. vgl. besonders die im Finanzarchiv Wien Kommerz ZI. 186/1835 liegende Korrespondenz über das Richteramt der Konsulate. Ferner die ungedruckte Dissertation von Manfred Sauer Österreich und die Levante 1814—1838 (Wien 1971) 18—48; der Autor dieser Arbeit, dem ich wertvolle Hinweise verdanke, bereitet auf breiter Quel­lenbasis eine Darstellung der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in der Levante vor.

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