Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

WELTIN, Max – ZWANOWETZ, Georg – HAAS, Hanns: Sammelreferat. Neue Forschungen zur Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte Österreichs

Sammelreferate 463 kung auf die „Wandlung der wissenschaftlichen Konzeption wie jene der po­litischen Situation“, die „Planung und Verwirklichung“ des Projektes be­stimmten: Entstanden aus dem Anliegen österreichischer und nordamerika­nischer Historiker, die Geschichte der Monarchie für die Lösung von Gegen­wartsfragen als Modellfall zu erarbeiten, überwand es die Gefahr des Einge­spanntwerdens in den West-Ostkonflikt und wurde im Zeichen mehrerer in­ternationaler Tagungen geradezu zum Symbol der Verständigung von Wis­senschaftlern verschiedener Gesellschaftssysteme. Das Ergebnis ist daher auch nicht ein Handbuch mit der Unterstellung einer unisonen Darbietung des Forschungsstandes, sondern ein Sammelband von Beiträgen mit durch­aus kontroversiellen Standpunkten, die zu erarbeiten sich der Leser nicht er­sparen kann. Die folgende Besprechung versteht sich als „aktive Lektüre“, wie sie dieses Handbuch erfordert, als ein Vergleich vorgebrachter Stand­punkte und nicht in erster Linie als Beurteilung von außen her. In die Lek­türe mit einbezogen werden zwei weitere Beiträge, deren Verfasser sicherlich nur aus Gründen, die die Herausgeber nicht beeinflussen konnten, nicht an der Veröffentlichung mitarbeitete. Es sind dies die beiden Arbeiten des tschechoslowakischen Historikers Jurij Krlzek: Die wirtschaftlichen Grund­züge des österreichisch-ungarischen Imperialismus in der Vorkriegszeit (1900—1919) (Rozpravy Ceskoslovenské Akademie véd. 73/14, Prag 1963) und sein Beitrag zur Geschichte der Entstehung und des Einflusses des Finanz­kapitals in der Habsburger-Monarchie in den Jahren 1900-1914 im Sammel­band Die Frage des Finanzkapitals in der österreichisch-ungarischen Monar­chie 1900-1919 (Bukarest 1965). Die thematische Aufgliederung des Stoffes auf Einzelbeiträge ist im vorlie­genden Band über die wirtschaftliche Entwicklung zugleich ein Spiegelbild des Standes der wirtschaftshistorischen Forschung in Österreich bzw. Un­garn, der es mit sich bringt, wie Brusatti schreibt, daß „die wirtschaftliche Entwicklung jenseits der Leitha in Form einer auf frühere Spezialuntersu­chungen aufbauenden Zusammenschau“ präsentiert werden kann, „während für die österreichische Reichshälfte eine Reihe von notwendigerweise um­fangreicheren Einzelbeiträgen erforderlich schien“ (S. XXI). Der Arbeit von Ivan Berend und György Ránki über Ungarn stehen daher für Österreich folgende Spezialuntersuchungen gegenüber: jene von Herbert Matis und Karl Bachinger über industrielle Entwicklung, Wirtschaftspolitik und Ver­kehrswesen, von Josef Wysocki, Eduard März und Karl Socher über Fi­nanzpolitik, Währung und Banken, von Richard L. Rudolph über „quanti­tative Aspekte der Industrialisierung“ und von Alois Brusatti über Wirt­schaftswissenschaften bzw. Wirtschaftsgeschichte. Beiträge zum Gesamtstaat sind die Ausführungen von Nachum Th. Groß über die Stellung der Monar­chie in der Weltwirtschaft, von Ákos Paulinyi über die gemeinsame Wirt­schaftspolitik, von Kurt Wessely über die Wirtschaftsentwicklung von Bos­nien-Herzegowina, von Karl Dinklage über die Landwirtschaft und von Ferdinand Tremel über Binnenhandel und Fremdenverkehr. Was alle diese Arbeiten vereint, ist das Bestreben, über ein rein deskriptives Verfahren hinauszugelangen und Einzelergebnisse auf der Grundlage einer Theorie miteinander in Verbindung zu setzen. Eine Reihe neuer Theorien kommt diesem Bemühen zugute: Rostows „Stadien wirtschaftlichen Wachs­tums“, Gerschenkrons Arbeit über wirtschaftliche Rückständigkeit, die Re­

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