Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger
MECHTLER, Paul: Die Anfänge der Phototechnik im österreichischen Archivwesen
Anfänge der Phototechnik 25 traf bereits in den ersten Monaten alle Erwartungen. In Österreich schloß 1929 die heute noch bestehende Firma Bors & Müller mit dem Patentamt einen Vertrag über das Photokopieren von Patentschriften und Auslegungsakten ab. Im Jänner 1932 wurde von dieser Firma in den Amtsräumen des Patentamtes ein vollständig automatisch arbeitender Siemens-Reproduktionsapparat aufgestellt, welcher in wenigen Minuten Kopien liefern konnte. Bei diesem Verfahren war die Vertraulichkeit dadurch gesichert, daß im Apparat kein Negativ zurückblieb. Diese Firma bot auch den Wiener Archiven ihre Dienste an, wobei sie die Durchführung der Aufnahmen in kürzester Frist zusicherte18). Ob damals viele Benützer der Archive diese Leistungen in Anspruch genommen haben, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Während nach dem Kontaktsystem oder mit Objektiven (Vergrößerungs- beziehungsweise Verkleinerungsmöglichkeit) arbeitende Photokopiergeräte von verschiedenen Firmen erzeugt wurden, ist durch eine einzige Kleinbildkamera, und zwar durch die Leica, eine völlige Revolution im Photowesen eingeleitet worden. Einzelne andere Typen von Kleinbildkameras hatten sich in der Praxis nicht richtig durchsetzen können. Den entscheidenden Durchbruch erzielte erst Oskar Barnak (1879-1936); er hatte bereits 1913 eine Ur- leica entwickelt, die infolge zeitbedingter Schwierigkeiten erst 1924 von den Leitzwerken in Wetzlar in den Handel gebracht wurde19). Den Anstoß für dieses neue Modell hatte die Kinematographie gegeben, denn es wurde das handelsübliche Filmformat 18:24 mm für Leicaaufnahmen in der Größe 24:36 mm übernommen, deren Vergrößerungsfähigkeit durch eine hervorragende Optik mit Zusatzlinsen für Aufnahmen auch auf nahe Entfernung in einem hohen Ausmaß gegeben war. Alle Vorteile dieses neuen Apparates konnten allerdings in den ersten Jahren nicht restlos ausgenützt werden, da damals das Auflösungsvermögen der Filmschichten noch nicht extremen Anforderungen entsprach. (Aus diesen Erwägungen bevorzugten Photographen lange Zeit noch die Verwendung von Glasplatten.) Zur gleichen Zeit kamen ein Vergrößerungsapparat „Files“ und ein Projektionsapparat „Uleja“, der auf 2-3 m Distanz Bilder in einer Größe von 160:100 cm auf eine Bildwand warf, in den Handel. Nach dem Muster der Leica wurden später in Deutschland und in den USA ähnliche Apparate hergestellt, ohne jedoch den ungewöhnlich großen kommerziellen Erfolg der Leitzwerke zu erreichen. Neben der Benutzung durch Photoamateure und Berufsphotographen ist dieses neue System der Kleinbildaufnahmen sehr bald in den naturwissenschaftlichen Disziplinen, besonders in der Physiologie, angewandt worden. Nachdem 1927 der Schweizer Bibliothekar Walser mit einer normalen Filmkamera nicht sehr erfolgversprechende Versuche bei photographischen Aufnahmen von Handschriften durchgeführt hatte, konnte er mit der Leica und den vorher 18) Verkehrsarchiv Wien Hausakten 239/1932. 19) Baier Quellendarstellung 300; Gernsheim Fotographie 52; NDB 1 (1953) 593.