Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

MIKOLETZKY, Lorenz: Archivar und Universität. Am Beispiel Franz Kürschners

Franz Kürschner 257 bis auf die neuere Zeit herauf. Wenn schon in letzterer Beziehung - zumal mit Rück­sicht auf die reichhaltigen Aktenbestände der jüngsten Vergangenheit - die entspre­chende Geschäftsgewandtheit im Registraturfache auch für den h. o. Archivsdienst nach dieser einen Seite hin genügt, so reicht dieselbe gleichwohl für die Dienstleistung des Adjunkten im Archive nicht mehr aus, zu dessen Obliegenheiten es doch gehört, einzelne Zweige des Dienstes selbständig zu leiten, nöthigenfalls den Direktor zu ver­treten und somit den gesammten Dienst zu überwachen. Dieß setzt aber - insbeson­dere in Folge des von Jahr zu Jahr zunehmenden Fremdenbesuchs, resp. der außeramt­lichen Benützung des Archivs - eine eingehende Vertrautheit mit den bestehenden Ar­chivsverhältnissen nothwendig voraus. Das Interesse des Dienstes nun ist es, welches mich in der vorliegenden Angelegenheit leitet, und nach diesem Principe kann ich un­ter den Beamten des hohen Ministeriums, welche auf die erledigte Stelle Anspruch machen, zunächst nur jene ins Auge fassen, welche im h. o. Archive selbst schon län­gere Zeit in Verwendung stehen“. Auch für Kürschner, der anläßlich der Besetzung einer Adjunktenstelle zu dieser Meinungsäußerung aufgefordert worden war, ist das Archiv noch keine wissenschaftliche Anstalt im heutigen Sinn, aber einige Gedanken­gänge sind auch in unseren Tagen noch vertretbar25). Im Herbst 1874 wurde er mit der „Abhaltung der Vorträge über Paläografie, Heraldik und Sphragistik, sowie über Archivkunde“ am Institut betraut26). Der 11. Mai des folgenden Jahres brachte ein interessantes Schreiben des In­stitutsvorstandes Theodor von Sickel an den Archivdirektor Franz Kürsch­ner. Darin wird das Problem der Verbindung von Ausbildung und gleichzei­tiger Anstellung sehr gut beleuchtet. Was heute kaum noch ein Hindernis darstellt, daß ein auszubildendes Institutsmitglied zu gleicher Zeit schon eine Anstellung innehat, war vor hundert Jahren ein Problem. Sickel schrieb: „Auf Bitten des derzeitigen ordentlichen Mitgliedes des k. k. Institutes für oesterrei- chische Geschichtsforschung Herrn Paukert habe ich demselben heute ein Zeugniß ausgestellt. Derselbe will mit dem Zeugniße, wie ich höre, sein Gesuch um eine im Ar­chiv des k. und k. Reichs-Finanz-Ministeriums erledigte Stelle belegen. Ich habe mich aber als Leiter des Instituts für verpflichtet erachtet, Herrn Paukert darauf aufmerk­sam zu machen, daß er, falls ihm die bewußte Stelle vor Ablauf des Sommersemesters d. h. vor 31ten Juli, wenn auch provisorisch verliehen werden sollte, der Mitgliedschaft und des Stipendiums des Institutes verlustig werden würde und daß ich ihm auch das ihm vom hohen kk Ministerium für Cultus und Unterricht zugedachte Reisestipendium entziehen müßte. Indem ich davon auch Euer Hochwohlgeboren in Kenntniß setze, will ich zugleich noch einem anderen Bedenken gegen die sofortige Anstellung des Herrn Paukert Ausdruck geben. Ich bin verpflichtet darauf zu halten, daß die ordentlichen Mitglieder und Stipendisten des Instituts den Lehrkurs bis zum Ende durchmachen und sich den vorgeschriebenen Examen unterziehen. Ich muß ferner darauf hinweisen, daß die Intentionen des hohen kk Ministeriums für Cultus und Unterricht dahin zielen, im Institut junge Männer für den Archiv- und Bibliotheks-Dienst methodisch heran­bilden zu lassen, und mit der Zeit für die geprüften Institutsmitglieder bei Anstellun­25) FA RFM 4174/1874 fol. 4; Vgl. Hanns Leo Mikoletzky Aus der Frühgeschichte eines "Wiener Archivs. Personal und Besoldung im Hofkammerarchiv 1775-18 75 in Ar­chivar und Historiker. Studien zur Archiv- und Geschichtswissenschaft (Berlin 1956) 138. 26) HKA Kürschner fol. 87; Institutsakten Ministerium für Cultus und Unterricht 15.888/1874. Mitteilungen, Band 28 17

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