Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 27. (1974)

CLES, Denise: Die Propagandatätigkeit Gabriele d'Annunzios gegen Österreich-Ungarn 1914–1918

Propagandatätigkeit D’Annunzios 1914—1918 357 war, oder, daß sein Gesicht in die Seelen wie das Antlitz des Erlösers in das Schweißtuch der Veronika eingeprägt sei56). Auch Garibaldi wurde in seinen Augen zum Träger einer Mission, der Einigung des Vaterlandes. Die Übertragung religiöser Aspekte auf den Krieg sollte in D’Annunzios späterer Frontpropaganda zu einem häufigen Motiv werden. Unter den Anwesenden befanden sich unter anderem die freimaurerische Großloge, die Komitees der „Dante Alighieri“, irredentistische Gruppen, die „Unione liberale democratica“ und die „Associazione liberale“. Die Sozialisten waren auf Grund des interventionistischen Charakters der Ze­remonie nicht vertreten. D’Annunzio erwartete so wie viele andere, daß die offizielle unmittelbar seiner lyrischen Kriegserklärung folgen würde. Er hielt sich noch einige Tage in Genua auf, wo er weitere Reden vorwiegend irredentistischen Charakters hielt. Anschließend beabsichtigte er, seine Mutter in den Abbruzzen zu besuchen. Statt dessen reiste er am 12. Mai nach Rom, wo nun der eigentliche Straßenkampf der Interventionisten parallel zu Mai­land, Turin und anderen kleineren norditalienischen Städten einsetzte. Inzwischen hatte sich die innenpolitische Lage krisenhaft zugespitzt. Ur­sprünglich war die Wieder einberuf ung der Kammer für den 12. Mai 1915 vorgesehen gewesen. Da aber die Mehrheit der Abgeordneten neutrali­stisch eingestellt war, konnte Salandra kaum hoffen, die außerordentli­chen Vollmachten für die Kriegskredite zu erhalten, die für die Durch­führung der Regierungspolitik erforderlich waren. Daher beschloß das Kabinett die Vertagung der Kammer auf den 20. Mai. Zu diesem Zeit­punkt sollte auch das Heer schlagfertig sein. Am 9. Mai kam Giolitti auf Drängen seiner politischen Freunde nach Rom, um bei der Eröffnung der Kammer zugegen zu sein. Soweit man im Parlament von der außenpoli­tischen Situation wußte, hatte man Giolitti informiert. Seine Anwesenheit, die der parlamentarischen Opposition erheblich das Rückgrat stärkte, wurde zum auslösenden Moment der innenpolitischen Krise, die einige Tage später in einen offenen Konflikt zwischen Krone und Regierung einerseits und neutralistischer Parlamentsmehrheit andererseits mündete. Über dreihundert Abgeordnete hinterlegten ihre Visitenkarten in Giolittis Haus als stilles Votum für seine Neutralitätspolitik. In den folgenden Unterredungen mit seinem alten Anhänger, Schatzminister Carcano, Salandra und dem König selbst, sprach sich Giolitti entschieden für die Erhaltung der Neutralität aus; eine Invasion Norditaliens durch die Mittelmächte hielt er für ebenso unausweichlich wie den Ausbruch der Revolution. Die militärischen Erfolge der Mittelmächte zu diesem Zeit­punkt, die gerade Rußland eine empfindliche Niederlage bei Gorlice und Tarnów beigebracht und daher die Möglichkeit hatten, eine gemeinsame 56) per la piü grande Italia (Milano 1923) 6 ff.

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