Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 27. (1974)

THOMAS, Christiane: „Moderación del poder“. Zur Entstehung der geheimen Vollmacht für Ferdinand I. 1531

Moderación del poder 105 Sache, daß Korrekturen aufscheinen, macht klar, daß der Originaltext nicht von Anfang an feststand, daß vielmehr Änderungen vorgenommen wurden, die den Inhalt unter verschiedenen Aspekten abwandeln konnten. Mit dem Terminus Korrektur werden hier weit mehr Spielarten als nur stilistische Glättung umrissen: Streichungen und Neueinsetzungen von Wörtern und Sätzen dienen beispielsweise der Präzisierung zu weit gefaß­ter Begriffe, der Erweiterung und Milderung, wie auch der Einschränkung und Verschärfung des ursprünglich Gesagten. Dazu kommen Umschrei­bungen, deren Gebrauch rigorose Definitionen in ihrer Stärke abzuschwä­chen vorgibt, den dahinterliegenden Gehalt im Grunde jedoch unberührt läßt. Durch die Erkenntnis Brandis konnten für das „sommaire memoire“ — so der für das Original gewählte Titel — die Stadien des Entstehens der gültigen schriftlichen Ausformung aufgerollt werden. Neben der Fer­dinand übermittelten Ausfertigung, die Lanz veröffentlicht hatte 14), und einem in Brüssel verwahrten Konzept, das sich als Reinschrift der Gran- vella-Fassung entpuppt, kannte man nunmehr den ersten Entwurf, der durch den Kanzler 15) einer Umarbeitung unterworfen worden war. Hier präsentiert sich ein Glücksfall der archivalischen Überlieferung, der für ein Dokument von dieser Tragweite in der ersten Hälfte des 16. Jahrhun­derts nicht allzu häufig anzutreffen ist16). Trotzdem wurden Brandis Notizen im zweiten Band seiner Biographie Karls V. nicht beachtet —, eigenartigerweise knüpfte der Entdecker keine weiteren Überlegungen daran, daß sein Fund neben der Relevanz für die Geschichte Ferdinands ein wichtiges Indiz für die „Meßbarkeit“ des Einflusses Granvellas auf seinen Herrn schon knapp nach dem Tod Gattinaras bildete. Daß niemand die Anregung aufgriff, mag zum Teil daran liegen, daß das äußerlich unscheinbare, undatierte Granvella-Papier bei Brandi eine irreführende Archivsignatur erhalten hatte, deren Richtigstellung für die Aufnahme in die ferdinandeische Familienkorrespondenz eine neuerliche Durchsicht al­ler in Betracht zu ziehender Quellenbestände erforderlich machte 17). 14) Siehe oben Anm. 9. 15) Granvella war „nicht formell“ (d. h. mit dem Titel Kanzler), „aber tat­sächlich dessen“ (i. e. Gattinaras) „Nachfolger“: Karl Brandi Die Überliefe­rung der Akten Karls im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Erster Bericht in Karl Brandi, Adolf Hasenclever, Josef Karl Mayr, Fritz Walser Berichte und Studien zur Geschichte Karls V. 1 (Göttingen 1935) 275. Er führte als Chef der „chancellerie impériale“ die Agenden für Frankreich, England, Deutschland, die Niederlande und Burgund (M. van D u r m e A propos du qua- triéme centenaire de la mort de Nicolas Perrenot de Granvelle in Bibliothéque d’Humanisme et Renaissance 13 [1951] 268) und kann daher ohne Bedenken mit dem Titel Kanzler angesprochen werden. 16) Sämtliche Überlieferungsformen: Karl an Ferdinand, 1531 Februar 12 Brüssel: FK 37 n. 457 c. 17) Brandi Kaiser Karl V. 2 220: „Wien, Wahl- und Krönungssachen 1530/31“ ist durch HHStA Reichsarchive Wahl- und Krönungsakten 2 fol. 211— 217 zu ersetzen.

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