Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
Tagebuch Orel 413 der Bischöfe dort keinen Erfolg haben könne. Er ist sehr entsetzt. Ich spreche über 1 Stunde über die Zustände im katholischen Lager, über die Bischöfe, über die katholische Aktion, über die liberalkatholischen Professoren, über Waitz «) und Oec. per. usw. Peichl versichert, mit dem Liberalismus müsse und werde jetzt absolut Schluß gemacht, wir müßten herangezogen werden. Samstag, 26. Februar: Einsetzung des Aktionskommitees. Dessen Sitzung 2. III. Entsendung von Führing, Körner, Orel zu Peichl. Aussprache mit diesem 4. März, y2 10 Uhr. Er will allein mit Innitzer über ein soziales Sofortprogramm sprechen, das ich ausarbeiten soll. Nach der Besprechung mit Peichl nimmt mich Körner zu Frau Miklas mit. Diese erklärt sich bereit, bei Chavanne dahin zu wirken, daß Schuschnigg mich empfange, damit wir ihm das soziale Sofortprogramm darlegen können. Ich schreibe es am 9. März bei ihm (sc. Peichl) in knappster Skizze nieder, nachdem ich ihm berichtet hatte, was inzwischen geschehen war (Seiß, Schuschnigg, Duumvirat; Meldung Ferbers vom 8. März). (46) Bei Kardinal Innitzer. Über Veranlassung Körners erscheine ich am 10. März % 10 Uhr bei Innitzer, komme um s/4 11 Uhr dran. Wie vor zwei Jahren zuerst Frage über meine Kleidung! Ich sage, daß die von Körner veranlaßte Besprechung in 5, 10 Minuten unmöglich sei, somit an einem allgemeinen Sprechtag, wo draußen eine Menge Leute warten, nicht möglich. Ich wollte die jammervolle Lage des Katholizismus darlegen, der wieder wie 1918, völlig ungerüstet und machtlos der Entwicklung gegenüberstehe. Innitzer: „Wir haben doch die katholische Aktion!“ Ich: „Die wieder völlig versagt. Während die anderen geistigen Lager höchste Aktivität entfalten, ist vom Katholizismus überhaupt nichts zu sehen und zu hören.“ Innitzer: „Politisch — Politisch?“ Ich: „Die Politik läßt sich nicht aus dem Leben ausscheiden und das Leben läßt sich von der Religion nicht trennen. Das Sakristei-Christentum ist nicht wahres Christentum. Wir Katholiken, die katholische Laienaktion, soll eine schlagfertige starke Armee, ein Schlachtheer sein, um die Schlachten Gottes zu schlagen.“ Diese Armee sei aber nicht da. Darüber und was zu geschehen habe, müsse ich mit ihm ausführlich reden. Auch um zu berichten, was ich seinem Auftrag gemäß in den letzten 2 Jahren erreicht hätte. Er: „Das kann ja später einmal geschehen“ (Das war ihm gar nicht ernst, sonst hätte er gleich Tag und Stunde bestimmt — ganz wie bei Zacherls Einladung). Dann wurde er zu einem Telefongespräch mit dem St. Pöltner Ordinariat gerufen. Aufstehend wies er mich auf die auf dem Tisch liegenden Beitrittserklärungen hin: „Da, treten Sie dem Dombauverein bei — 1 Schilling jährlich!“ Von dem Telefongespräch hörte ich, wie er sagte, sehr aufgeräumt, wie er überhaupt geradezu fröhlich tat: „Man rechnet mit 60% Ja-Stimmen bei der für den 13. März anberaumten Volksbefragung über die Freiheit Österreichs.“ Es werde gut gehen (am Vortag der Katastrophe!). Als er herauskam, setzte ich fort. Er könne rettend eingreifen. Er lacht auf. Ich: „Wenn die Bischöfe erklären, daß sie dieses entsetzliche System, das die Bevölkerung gegen die Kirche aufreizt, ablehnen, ist das Kartenhaus zusammengefallen.“ Das System hänge doch in der Luft — es habe keine Anhänger als die unmittelbaren Interessenten. Innitzer laut lachend: „Wenn ich das öffentlich erkläre, komme ich nach Wollersdorf!“ Ich heftig: „So gehen Sie nach Wollersdorf!“ Er: „Die Kirche hat mit dem Staat das Konkordat geschlossen.“ Ich verabschiedete mich mit großer Entrüstung und wartete auf Körner, der mit dem Kardinal einiges zu besprechen hatte und, da noch Zeit übrig war, in die Hainburgerstraße fuhr, um mit Frau Miklas eine Besprechung für morgen zu vereinbaren. «) Dr. Sigmund Waitz (1864—1941), Erzbischof von Salzburg.